Epitaph: Tony Scott
Hedonist und Eudämonist
Es war die platonische Metaphysik und nach ihr die christliche Religion, die dem Selbstmord als würdigen Abgang einen Riegel vorschob. Hedonismus und Eudämonismus wurden ab dem Zeitpunkt als verrückt und feige verurteilt. Gott war/ist der einzig wahre Souverän und somit auch alleiniger Herrscher über Leben und Tod. Tony Scott wurde von der Kritik stets als guter Handwerker wahrgenommen. Der Regisseur hatte die eigenwillige Angewohnheit, scheinbar übergangslos, innerhalb seines Schaffens von Thema zu Thema zu springen. Im Design gab es jedoch bei seinen stakkatoartigen Wasserpistolstrahlen geheime Bindeglieder. Als er zu Beginn der 1980er in Hollywood genug Kontakte knüpfte, um einen Blockbuster zu verwirklichen, hatte sein großer Bruder Ridley mit „Alien“ und „Blade Runner“ nicht nur einen, sondern bereits zwei Riesenwürfe gelandet. Beide Filme gelten als Meilensteine der dystopischen Science Fiction und werden mittlerweile nicht nur als Klassiker, sondern als „Must Sees“ gehandelt. Tonys Vampirfilm „Begierde“ scheiterte dagegen beim Fach- wie Laienpublikum. Über die Jahre baute sich der Streifen dennoch eine kleine Fangemeinde auf. Ridleys Credo war und ist: „Less is More“. So sieht man in „Alien“ die Bestie eigentlich nur vier mal, womit er den vom Film ausgehenden Horror gekonnt verstärkt. Scotts Credo dagegen war: „More is More“.
So unterschiedlich seine Streifen in Qualität und Wahl des Genres auch sein mochten, es waren immer Materialschlachten und nicht selten das Zurschaustellen protziger Körperkultur. Beinahe wäre er wieder zum Werbefilm zurückgekehrt, doch die heraufziehende Sehnsucht nach speckigem Zelluloid-Fastfood verlangte nach Regisseuren mit seinen ästhetischen Neigungen. Mit „Top Gun“ kam dann der Durchbruch. Die Geschichte ist kurz und schnell erzählt. Man nehme eine handvoll bis auf den Schließmuskel durchtrainierter Typen, stecke diese in Uniformen, verteile die Rollen in der gute Gute (Tom Cruise), der böse Gute (Val Kilmer) und die Blondine (Kelly McGillis), lasse diese 90 Minuten um die Gunst des Ausbilders (Michael Ironside) buhlen und gegen böse Russen kämpfen. Das Ergebnis ist einer der erfolgreichsten Filme der 1980er, der Tom Cruise zu einem gefragten Schauspieler machte. Grobe, schnelle Schnitte, der sehr bewusste Einsatz des Sonnenlichts und die Verwendung unterschiedlichster Kamerafilter gaben seinem Bemühen, die Handlung realistisch zu halten, etwas artifizielles – und unfreiwillig komisches. Dennoch legte er damit den Grundstein für zeitgemäßes Actionkino.
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Den guten Handwerker trennt vom Künstler, wenn man es auf den Beruf des Regisseurs bezieht, die Fähigkeit mit Schauspielern angemessen umzugehen. Höflichkeit und Achtung der Leistung sollten als Tarnmanöver benutzt werden, so wie ein Tintenfisch, der sich gleichsam einnebelt, sich unsichtbar macht und dann einen neuen Kurs einschlägt. Mit David Bowie und Catherine Deneuve verhob sich Tony schwer. Der Umgang mit Diven war wirklich nie seine Sache. Mit Tom Cruise lief es schon besser. Denzel Washington brachte dann als Schauspieler genug Bodenständigkeit, Bereitschaft und Talent mit, um Filme wie „Man on Fire„, „Unstoppable“ und „Déja vu“ zu realisieren. Sein innerer Antrieb äußert sich stets gelassen, kämpferische Wut tritt mit genügend Souveränität in Erscheinung. Sein muskulöser Körper ist anders als der eines Arnold Schwarzenegger oder eines Tom Cruise, er scheint in Anzügen und Uniform heimisch zu sein. So nimmt man Washington den Polizisten, den Juristen, den Offizier glaubhaft ab. Die philosophische Grundierung blieb, anders als bei seinem Bruder Ridley, aber stets ein zusätzliches Gimmick. Er war eben ein Hedonist und Eudämonist und sprang am 19. August von der Vincent Thomas Bridge in Los Angeles.
Joris J.