Rückblick auf die 27. Teddy Awards

Pathos mit Weitsicht


Foto: Alina Impe

Foto: Alina Impe

Freitagabend, 20:30 Uhr. Auf der Eintrittskarte steht Block D, Reihe 45. Ist das ein Druckfehler? So weit hinten sitzt man doch höchstens beim Superbowl. Aber die Teddy Awards blicken auf eine 27-jährige Tradition zurück, der Zulauf der LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender)-Community ist über die Jahre massiv gewachsen und auch der Durchschnitts-Hetero will Teil des Live-Events mit Jochen Schropp sein.

Die Station Berlin als Veranstaltungsort entpuppt sich als weitläufig. Drag Queens mit Gimmick-Körbchen stöckeln vorbei, während man sich seinen Weg durch ein Labyrinth aus Vorräumen, Garderoben, Lounges und Photocall-Ecken bahnt. Die Schlauchform des Saals erklärt schließlich, warum Reihe 45 auf dem Ticket steht. Von hier hinten ist Jochen Schropp ungefähr so groß wie eine Ameise. Ohne die Großbildleinwände wäre das eine sehr dröge Aussicht. Den Auftakt macht die Elektro-Pop-Band Laing und versucht, mit dem eingängigen Refrain „Ich bin morgens immer müde, aber abends werd ich wach“ bei dem gebeutelten Berlinale-Publikum ein paar Energiereserven freizusetzen. Falls das nicht hilft, wird die Gratis-Red Bull-Dose unterm Sitz das schon erledigen.

Als erster prominenter Redenschwinger betritt Klaus Wowereit die Bühne. Ein paar Buhrufe mischen sich unter den Applaus, aber heute Abend geht es um mehr, als einen nicht fertig werdenden Flughafen, heute Abend geht es um Solidarität und Menschlichkeit. Entsprechend leidenschaftlich klingt Wowereits Rede, der mit roter Nase und Schweißperlen auf der Stirn auch schon mal fitter ausgesehen hat. „Der Kampf muss weitergehen, liebe Freundinnen und Freunde!“ – Mensch, das ist ja hier wie beim Parteitag. Der erste Preis des Abends, die Else der Siegessäule, geht an „In the Name of“ von Malgoska Szumowska, bevor das Tanztrio Generation Porn mit akrobatischen Verrenkungen zwecks einer Neuinterpretation von Frühlings Erwachen“ zu überzeugen weiß. Ganze 45 Filme, die sich dem LGBT-Topic zuordnen lassen, liefen dieses Jahr bei der Berlinale, Tendenz steigend. Wieland Speck, Taufenheber und „Daddy of the Teddy“, ist stolz. Nachdem der Teddy für den besten Kurzfilm „Undress me“ (Victor Lindgren) den Besitzer gewechselt hat, wird es mal kurz ernst. Renate Künast zieht in der zweiten Reihe schon mal nen Flunsch.  Jaja, die Großbildleinwand enthüllt alles! Verliehen wird nun der Special Teddy Award for HIV Awareness, der an die Organisation STEPS for the Future geht. Sich vorrangig in entwicklungsschwachen Ländern in Afrika engagierend, betreibt STEPS for the Future HIV-Aufklärung mit Hilfe von bereits Infizierten, dreht Dokus über deren Lebensumstände und organisiert Filmvorführungen in den betroffenen Regionen.  Der anschließende Auftritt von Sängerin Imany mit „Africa has the shape of a broken heart“ könnte sich thematisch nicht besser anschließen.

Depri-Stimmung macht sich breit. Aber Jochen Schropp ist Vollblut-Profi und weiß, wie man das Publikum mit Kommentaren über unvorhergesehene Technik-Ausfälle bei Laune hält. „Wir sind zum Glück ja nicht live, morgen beim RBB und bei arte sieht das alles total super aus!“ Zwinker Zwinker. Nur Frau Künasts Mundwinkel zeigen immer noch nach unten. Außerdem ist es schon wieder Zeit für die nächste Siegerkür, der Jury Teddy Award geht an Stacie Passon für ihr autobiografisches Drama „Concussion„. Für die anschließende Retrospektive zu Jean Marais ist wieder Wieland Speck zuständig. Marais, einst schwule Muse von Jean Cocteau, starb 1998 an den Folgen seiner Kettenraucherei, sofern man Wikipedia Glauben schenken darf. Heute Abend erlebt er mit Originalaufnahmen seiner Zeit und mit Hilfe von Sängerin Katherine Mehrling, die wie eine Edith Piaf des 21. Jahrhunderts ins Mikro schmettert, seine Auferstehung. Wieland Speck holt nochmal die Pathos-Keule raus: „Selbsthass ist die Ursache von Fremdenhass!“ Klingt ein bisschen nach Slogans aus dem Kinderfernsehen, aber Recht hat er ja irgendwo.

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