10. achtung berlin – Retrospektive „Berlin im Film der Neunziger Jahre“

RP Kahl: Ich misstraue der Improvisation



Was war Anlass bzw. gab den Impuls, einen Director´s Cut von „Angel Express“ zu machen?
Angel Express“ war wahnsinnig schnell entstanden, sofort nach der Premiere von „Silvester Countdown“ ging es los und ich wollte wieder zum Münchner Filmfest fertig sein. Aber genau aus diesen Gründen hatte ich keine Zeit, noch mal einen Schritt zurück zu treten, in Ruhe zu schauen, was im Schnitt entstanden war. Auch fehlte mir ein bisschen ein adäquater Partner, wie ich ihn jetzt mit Torsten Neumann in unserer Firma Independent Partners habe. Mein Mitproduzent Luggi Waldleitner von der Roxy Film war kurz nach Drehende gestorben. Oskar Roehler, mit dem ich „Silvester Countdown“ gemacht hatte, war mit seinem nächsten Film „Gierig“ beschäftigt. So war die entstandene Fassung zwar richtig und gut für den Augenblick, aber perfekt war sie eben noch nicht. Wenn die 35mm-Kopie einmal gezogen ist, sind keine Änderungen mehr möglich. Als ich 2010 meinen Film „Bedways“ machte, merkte ich, da gibt es Parallelen, beides sind Berlin-Filme, die versuchen, eine Zeit, einen Moment dieses Gefühls einzufangen. Da es eine Verbindung von „Angel Express“ zu „Bedways“ gibt und die Videorechte von „Angel Express“ 2011 ausliefen, war das genau der Moment zu sagen: So, jetzt setze ich mich noch einmal an diesen Film, zwölf Jahre später. Und es hat großen Spaß gemacht. Das müsste eigentlich häufiger möglich sein, dass man noch einmal mit dem Material arbeiten kann, wie ein Maler, der noch mal ein paar Sachen an seinem Bild ändert, verbessert oder variiert.

Wie hat sich der Film in der zwölf Jahre späteren Bearbeitung aus deiner Sicht verändert?
Interessant ist, dass der Director’s Cut kürzer geworden ist. Alle meine langen Filme („Bedways„, „Mädchen am Sonntag„, „Angel Express„) haben nun eine fast einheitliche, sehr kurze Länge. Wahrscheinlich entspricht die meiner eigenen Spanne von Aufmerksamkeitsfähigkeit… Es sind ganze Szenen raus gefallen, von denen ich mich 1998 noch nicht trennen wollte, obwohl es damals schon klar war, dass sie eventuell nicht notwendig sind. Aber es sind auch neue Takes in den Film gekommen. Das ist spannend, weil man an der Qualität des Bildmaterials sehen kann, wo was neu hinzugekommen ist, wenn man genau schaut. In der Hauptsache aber ist die Dramaturgie verändert. Ich bin wieder näher an die Drehbuch-Fassung gerutscht. Im Schnitt damals hatte ich alles noch einmal wild durcheinander gerockt, weil ich auch dieses Szenenhafte, Abgeschnittene, Episodische unbedingt wollte, weil es meinem Lebensgefühl dieser Zeit entsprach. Jetzt bin ich da lässiger und gönne dem Publikum etwas mehr Linearität. Auch finde ich, dass ich durch die größere Konzentration auf die Waffe im Film, nun näher am Thriller bin, als am Drama. Das mag ich sehr an der neuen Fassung: Mehr Genre, weniger Kunst. Irgendwie ist es wirklich eine verbesserte Version. Eigentlich ist „Director’s Cut“ die falsche Bezeichnung. Ich hatte 1998 schon den finalen Cut, da war keiner, der mir was vorgeschrieben hat. Die alte Fassung kann man nur noch auf VHS sehen und jetzt, was mich sehr freut, in der Retrospektive bei achtung berlin, natürlich mit einer 35mm-Kopie-Vorführung. Das wird bestimmt auch für längere Zeit eine der wenigen Möglichkeiten bleiben, beide Fassungen fast zeitgleich sehen zu können: Erst im Kino das Original und dann später auf realeyz.tv für wenige Tage den Director’s Cut per VOD.

Wie steht er im Verhältnis zu späteren Filmen von dir, z.B. „Bedways„?
Ich sehe eine Verbindung zwischen „Angel Express“ und „Bedways„, wie ich vorher schon mal angedeutet hatte. Und vielleicht wird daraus wirklich eine Trilogie. 2022 müsste dann nach meiner Rechnung der dritte Berlin-Film kommen. Was aber auffällt, ist, dass ich „Angel Express“ – obwohl dies mein erster langer Film als Regisseur war – mit einem viel größeren technischen, finanziellen und personellen Aufwand gedreht habe. „Bedways“ habe ich viel experimenteller, unaufwendiger und auch günstiger produziert. „Angel Express“ ist das Portrait einer Stadt, einer Generation, eines Lebensgefühls. Als mich nach der Premiere von „Angel Express“ Alexander Kluge in seiner Interview-Sendung „10vor11“ fragte, welche Filme denn im neuen Jahrtausend kommen werden, antwortete ich, dass ich glaube, dass es mehr um die persönlichen Beziehungen gehen wird, ein Rückzug aus dem öffentlichen Leben. Ein bisschen ist „Bedways“ der Hybrid aus beidem: Eine Versuchsanordnung von Beziehungen, die aber nicht nur im Privaten verhaftet sind, sondern auch in der Arbeitswelt, und mit dem Drang, sich zu zeigen, verbunden sind.

Weiterlesen: 2011 war RP Kahl gemeinsam mit achtung berlin-Festivalleiter Hajo Schäfer, Dokumentarfilm-Pabst Andres Veiel und taz-Film-Journalistin Cristina Nord zu Gast bei Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch.

Wie waren die Bedingungen 1998 damals für dich, als du mit „Angel Express“ deinen ersten Langfilm gedreht hast?
Ich hatte das große Glück, mit Luggi Waldleitner und seiner Roxy Film einen Mitproduktionspartner gefunden zu haben, der mir total vertraut und mir finanziell absolut den Rücken freigehalten hat und wenige, dafür aber gute Ratschläge gegeben hat. Solche Produzentenpersönlichkeiten gibt es heute eigentlich nicht mehr. Das liegt daran, dass die wenigen Produzenten, die nicht als Konzern aufgestellt sind, einfach zu wenig Geld mit ihren Filmen verdienen, um sich den Luxus der Entdeckung und Patenschaft leisten zu können. Waldleitner hat auf der einen Seite Petersen, Geißendörfer und Fassbinder produziert, aber auch italienische Soft-Erotikfilme, also eine große Bandbreite von Filmen. Leider starb er kurz nach den Dreharbeiten und es war ziemlich traurig, dass er den Beweis seines Vertrauens nicht mehr erleben konnte.

Ist es für dich als Schauspieler ein großer Unterschied, als Darsteller im eigenen Film zu spielen oder in denen anderer Regisseure?
Ich glaube, seitdem ich selber Regie führe, bin ich ein richtig pflegeleichter Schauspieler am Set. Ich kann meinen Text, achte auf die Marken und diskutiere nicht. Bei anderen Regisseuren kann ich mehr eine Figur, einen Charakter spielen. Wenn ich in meinen eigenen Arbeiten agiere, entwickele ich das schon ziemlich stark aus mir selbst heraus. Anders geht es gar nicht, wenn ich nicht verrückt werden will. Mittlerweile macht es mir auch wirklich wieder großen Spaß, bei anderen Regisseuren als Schauspieler mitzuarbeiten, aktuell bei Tatjana Turanskyjs „Top Girl“ (Berlinale 2014) und bei Lars Kraumes neuem Tatort „Hammer“ (ARD, 13. April 2014). Eine Zeit lang hatte ich es vermieden, in meinen eigenen Sachen zu spielen. Das hat sich aber wieder gewandelt. Ich habe mehr Lust, dabei zu sein, und es ist mir egal, was die Leute davon halten.

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