Lars Eidinger im Interview zu „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“

Eidinger: "Das hat mit Macht zu tun, das bereitet mir Lust"



Was sagt es über eine Gesellschaft, die trotz so vieler unterschiedlicher Menschen nur wenigen zugesteht, „normal“ zu sein?
Um es mit Hamlet zu sagen: Es gibt nichts Gutes oder Schlechtes, es sei denn das Denken macht es dazu. Die Werte, mit denen wir aufwachsen, sind gesellschaftlich geprägt. Man muss sich nicht vormachen, dass man sich davon freimachen könnte, aber auch nicht, dass sie naturgegeben wären. Die sind auferlegt. Deswegen gewinnt Peter an Glaubhaftigkeit, wenn er auf die Frage des Vaters, wie es in der Beziehung weitergeht, antwortet: „Ich fick‘ ihre Tochter – das ist alles.“ Es ist dieses Triebgesteuerte, das wir uns alle verkneifen, weil wir es für eine zivilisatorische Errungenschaft halten, die uns davor bewahrt uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Trotzdem sind diese Sehnsüchte und Triebe anwesend, wir gestehen sie uns nur nicht ein und verbieten uns sie auszuleben. Wäre das nicht so, gäbe es auch keinen Konflikt beim Gucken.

Welche Rolle spielt Macht in diesem Kontext?
Jede Form von Beziehung hat immer etwas mit Macht zu tun oder mit Status. Dieses Machtgefüge muss immer in Bewegung bleiben, damit es spannend bleibt. Mit Formen von Ergebenheit oder Unterwerfung zu operieren, ist wahrscheinlich das, was Peter reizt. Diese Frau ist ihm unterlegen. Trotzdem hat auch sie das Gefühl, Macht über ihn zu haben. Allein die Tatsache, dass sie bei ihm Lust erzeugt, ihn zum Orgasmus bringt, führt dazu, dass sie daran Gefallen findet. Es ist neu für sie, Macht über jemand zu erlangen. Bei Dora ist das fast interessanter, als bei Peter. Das ist eine Abhängigkeit, aber eben auch ein gutes Gefühl. Sie hat nicht das Gefühl, dass sie ausgenutzt wird.

In einem Interview, das Sie der FAZ gegeben haben, beschreiben Sie eine andere Macht und sagen: „Auf der Bühne fühlt man sich so mächtig, so viele Leute, und die gucken einen alle an, und man ist virtuos.“ Ist diese Macht eine andere?
Dieser Moment, sich vielen Leuten auszusetzen, ist eher einer, der Angst auslöst, weil man Gefahr läuft zu versagen. Im Mittelpunkt zu stehen, hat etwas Beängstigendes. Dieses unter Beobachtung sein. Die Tatsache, dass ich auf der Bühne stehe und aktiv bin, lässt mich aber auch glauben, diese Situation kontrollieren zu können. Das ist ein Gefühl von Macht. Es ist ein Mittel sich zu schützen. Angriff ist die beste Verteidigung. Wenn ich offensiv bin, geraten die anderen in die Defensive und werden mir nicht gefährlich. Das ist der Mechanismus, der in mir eine immense Energie generiert.

Sicher eines der merkwürdigsten Paare der Berlinale 2015: Lars Eidinger und Victoria Schulz in "Dora oder Die sexuellen Neurosen unserer Eltern" von Stina Werenfels. © Oliver Vaccaro

Sicher eines der merkwürdigsten Paare der Berlinale 2015: Lars Eidinger und Victoria Schulz in „Dora oder Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ von Stina Werenfels. © Oliver Vaccaro

Sie reflektieren dieses Verhältnis offensichtlich. Bedeutet es Ihnen etwas, so eine Macht ausüben zu können?
Diese Macht ist wahrscheinlich mein Hauptantrieb. Das ist auch der Grund, warum ich gern Platten auflege. Nicht, weil ich so ein Musik-Freak bin, das zwar auch, das könnte ich aber auch Zuhause machen. Mich kickt es, die Stimmung im Raum unmittelbar zu beeinflussen. Es gibt mir aber auch eine Form der Sicherheit, weil ich mich nicht einer Stimmung unterordnen muss. Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Es gibt sicher viele Menschen, die sich wohler fühlen, wenn ihnen über Musik Stimmung vermittelt wird, wenn sie auf der Tanzfläche stehen. Ich empfinde größeres Glück, wenn ich da etwas hineingebe und das eine Masse von Leuten bewegt. Das hat mit Macht zu tun, das bereitet mir Lust.

Gleichzeitig sagen Sie über sich, dass Sie sich im Alltag Komplexen oder auch Ängsten unterwerfen. Wissen Sie, woher diese Ängste kommen?
Ich beschreibe das zwar als mein Problem, aber eigentlich ist es unser Problem. Ich beschreibe uns Menschen. Ich glaube nicht, dass ich da einen speziellen Defekt habe. Jeder hat Angst, verletzt zu werden. Durch eine gewisse Maskerade schützt man sich. Das macht viel von unserer Persönlichkeit aus.

Welche Rolle spielt Ihr Beruf dabei?
Auf der Bühne mache ich mich durch das expressive Spiel zwar sehr angreifbar, lerne mich aber selbst vielmehr kennen, indem ich in den Dialog mit anderen, aber auch mit mir selbst trete. Gebe ich nichts von mir preis, erfahre ich auch nichts über mich. Vieles funktioniert über die Reflektion, über das Gegenüber. Privat bin ich schüchterner und schütze mich mehr.

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