Regisseur Christian Alvart im Interview zu „Freies Land“

Alvart: "Angst bestimmt unser Handeln"



Fragen Sie sich auch, wohin dieses Spiel mit der Angst, das von vielen Akteuren der Politik gespielt wird, führen soll?
Ich fühle mich von keiner Seite repräsentiert. Ich finde, dass in allen Lagern die lauten Menschen das Sagen haben. Es wird schwierig sich in der Debatte zu äußern, da man bewusst missverstanden wird. Es sind aber keine Missverständnisse, sondern es ist eine Suche nach der einen Halbsatzformulierung, die dich diskreditiert. Die Kultur der öffentlichen Debatten ist ein Minenfeld. Als Person ziehe ich mich da zurück und lasse meine Werke sprechen. Uns Menschen unterscheidet die Empathie vom Tier, sie ist eines der höchsten Güter überhaupt. Es ist Wahnsinn, dass wir von der Evolution ein so tolles Tool bekommen haben.

Unterschätzen wir Menschen dieses Tool?
Es fällt gerade weg. Auf allen Seiten der Debatte. Die Ostdeutschen, die für Pegida demonstrieren, werden von denselben Blättern abgeurteilt, die vorher vor einer angeblichen Übernahme durch den Islam warnen. Der Spiegel, ein linkes Blatt, sagt mit sieben Titelbildern der Islam bedroht uns alle. Kaum demonstriert jemand dagegen, wird gesagt, die sind das Pack.

Was macht das mit denen?
Die fühlen sich herabgesetzt und kommen mit Plakaten auf denen „Wir sind das Pack“ steht. Die fühlen sich nicht ernst genommen. Ich sage nicht, dass man jeden Neonazi, der blöde Parolen brüllt, ernst nehmen muss. Aber man muss sich den Ängsten, die irrational sind, widmen. Vielleicht mit einer ausgestreckten Hand auf Leute zugehen und denen sagen: Ich nehme deine Angst ernst. Sonst verliert man die Gegenseite komplett. Denn dann kommen die und rächen sich. Vor dieser Rache habe ich wahnsinnige Angst. Ich bin mit einer Halb-Afghanin verheiratet, meine Kinder tragen den Namen des Propheten und ich wohne in Brandenburg. Ich wäre im Zentrum, wenn diese Auseinandersetzung eskaliert.

Empfinden Sie das als reale Bedrohung?
Auf jeden Fall, meine Kinder sind von der Gegenreaktion bedroht. „Meine Seite“ verhält sich in dieser Debatte unangemessen und peinlich. Eindimensional und ohne jegliche Empathie. Ich finde Empathie so wichtig. Sie ist der Grund, warum ich jemanden anderes nicht schlage, weil ich mir vorstelle, wie es ist, geschlagen zu werden. Das fehlt mir. Das war bei „Dogs of Berlin“ schon so, wenn dort auch sehr ins Popcorn driftende. Für mich ist das eine Serie über Empathie. Bei „Freies Land“ führe ich das Thema weiter aus.

Prägend bei „Freies Land“ ist ein Unbehagen. Das ist fast greifbar. Wie kreieren Sie Angst?
Das Genre widmet sich Ängsten. Hier ist es dieses Anarchische. Vor wahrer Anarchie hatte ich schon immer Angst. Da gilt nur das Recht des Stärkeren. Es gibt Gründe, warum wir Staatstheorie entwickelt haben, warum wir in Demokratie leben, warum wir uns bändigen. Gewaltenteilung, das Rechtssystem… die Menschheit hat sich, mehr als das einzelne Individuum, die ganze Zeit weiterentwickelt, wurde immer progressiver, immer besser. Für diese Werte sind Menschen gestorben, auf die Straße gegangen, haben Jahrzehnte im Gefängnis gesessen. Diese Werte haben einen Wert, der uns dazu verpflichtet, sie bei Gegenwind aufrecht zu erhalten. Man müsste sich mit geradem Rücken hinstellen und benennen was man von dieser und jener Seite falsch findet. Weil man damit seinen Vorfahren Respekt zollt. Grundsätzlich finde ich toll, dass die Menschheit das entwickelt hat. Ich habe Angst davor, dass diese Dinge wegbrechen. Diese Angst äußert sich im Film.

Wovor haben Sie genau Angst?
Es gibt zwei Dinge, zum einen den Mob, den unkontrollierten, dummen Mob. Da werden in Südamerika Leute aus dem Gefängnis gezerrt und hingerichtet, weil es Gerüchte gibt, dass sie Kinder missbraucht hätten – und es stimmt nicht. Das andere ist staatliches Töten. Diese Vorstellung, dass die Uhr tickt und irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man hingerichtet wird. Da ist fast egal, was der Mensch getan hat. Beides finde ich furchteinflössend.

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