„Es gibt so viele tolle Filme über Musik, die nie ins Kino kommen, die Menschen gerne sehen würden“, Interview mit den Machern vom Soundwatch Berlin Music Film Festival


Still aus THE GO-GO’S © eaglerock

Vom 5. bis 16. November findet das Soundwatch Berlin Music Film Festival statt. Ebenfalls von der Schließung der Kinos betroffen, sind nun die Filme inklusive aller Gespräche online zu sehen. Für die Online-Version hat sich Soundwatch mit dem UNERHÖRT! Musikfestival zusammengetan – die Filme sind auf der UNERHÖRT!-Website als Pay-Per-Stream auch teilweise noch nach dem 16. November zu erleben. Der Name Soundwatch Berlin Music Film Festival ist Programm: Das Publikum erwarten erlesene Dokumentarfilme zum Thema Musik. In diesem Jahr sind die Herausforderungen für alle Festivalmacher, gerade wenn man sich für ein hochwertiges, unabhängiges Kino einsetzt, noch einmal höher als sonst. Es gilt daher alle Festivals, die den Mut aufbringen, sich diesen zu stellen, zu unterstützen. Und der Besuch bei Soundwatch lohnt sich. Wir haben Natalie Gravenor und Hans Habiger schon Mitte Oktober ein paar Fragen zur diesjährigen Ausgabe gestellt und eine Vielzahl von inspirierenden Antworten und Filmempfehlungen erhalten.

Wie habt ihr euch für diese Ausgabe des Festivals an die aktuellen Schwierigkeiten angepasst?

Hans Habiger und Natalie Gravenor: Wie einige andere Festivals auch bieten wir ausgewählte Filme als Stream an – 50% der Einnahmen gehen an die Produzent:innen und es wird einen Soli-Euro für die Kinos geben. Die Filmgespräche finden größtenteils als Videokonferenz statt. Diese Hybrid-Form kann nur eine Notlösung sein, aber so sind die Filme wenigstens sichtbar.

Könntet Ihr kurz Eure Motivation beschreiben, Soundwatch ins Leben zu rufen?

HH: Es gibt so viele tolle Filme über Musik, die nie ins Kino kommen, die Menschen gerne sehen würden. Über Musik kann man auch viel über unsere Gesellschaft erfahren, und sogar andere Möglichkeiten des Zusammenlebens. Und zudem zeigen, was es zwischen Helene Fischer und Public Enemy noch anderes gibt.

NG: Uns ist wichtig, dass diese Filme im Kino gesehen werden können, mit anschließenden Gesprächen mit Regisseur:innen, Musiker:innen, aber auch Expert:innen zu Themen, die in den Filmen über die Musik verhandelt werden. Wir versuchen auch, außer der reinen Filmvorführung andere Kunst- und Vermittlungsformen einzubringen, wie Konzerte, Installationen u.a.

Wie gestaltet sich die Arbeit der Filmrecherche und -auswahl? Nehmt Ihr Euch jeweils ein bestimmtes Thema vor und welche Plattformen sind besonders ergiebig für Dokumentarfilme zum Thema Musik?



NG und HH: Einerseits schauen wir uns Programme anderer Festivals an, die Musikfilmen einen Raum geben, z.B. das CPH:DOX in Kopenhagen mit seiner tollen eigenen Musikfilmsektion. Oder wir hören von neuen Filmen über Musikinfokanäle. Soundwatch ist auch Mitglied im europäischen Music Film Festival Network, innerhalb dessen es einen Programmaustausch gibt, vor allem mit dem UNERHÖRT! Musikfilmfestival in Hamburg. Es gibt außerdem zwar konventionell gemachte, aber solide recherchierte Dokus von der BBC über Ikonen und alle möglichen Stilrichtungen von purem Pop bis Neue Musik. Manchmal gelingt es uns, einen davon zu zeigen. Wiederkehrende Themen bei uns sind: Musik & Politik, Arbeiten, die künstlerische Verbindungen von Musik und Bewegtbild aufzeigen, Undergroundkultur in Osteuropa und Hintergründe des Musikgeschäfts.

Wie würdet Ihr das Programm von diesem Jahr kurz charakterisieren?

NG und HH: Die Spannbreite der Filme umfasst archivmaterialreichhalte Musiker:innenporträts und experimentellere Arbeiten: MUSIC FROM FRONTIER TOWN ist eine Visualierung eines Hörspiels der Künstlerin und Musikerin Michaela Melián (Sängerin der Münchener Post-Punk-Band F.S.K.) über „Soft Diplomacy“ in der Nachkriegs-BRD Form des Schallplattenverleihangebots der Amerika Häuser, SIKSA. STABAT MATER DOLOROSA ein albumlanges Musikvideo der polnischen Electropunk und Queeraktivist:innen Siksa und MIMAROGLU: THE ROBINSON OF MANHATTAN ISLAND, ein vorwiegend aus Privataufnahmen zugestelltes Porträt des von Istanbul nach New York emigrierten elektronischen Musikkomponisten Ilhan Mimaroglu. Dieser war dort vielfältig aktiv mit eigenen avantgardistischen Kompositionen, Sessions mit Jazzmusikern wie Charles Mingus und hat einen Beitrag zum Score von Fellinis SATYRICON geleistet. Im Film geht es auch um seine Frau Güngör, eine politische Aktivistin und gleichberechtigte Partnerin in dieser bemerkenswerten Verbindung von Seelenverwandten.

Überhaupt – eher zufällig – spielen durch romantische Beziehungen geprägte Gruppendynamik in einigen Filmen eine interessante Rolle, so auch in der Filmbiografie der Frauenband THE GO-GO’s und in OTHER, LIKE ME: AN ORAL HISTORY OF COUM TRANSMISSIONS AND THROBBING GRISTLE über die Industrialpioniere Throbbing Gristle. Wir zeigen den Film als Hommage an TG (Throbbing Gristle) Frontperson Genesis P-Orridige, die Anfang 2020 verstorben ist. Auch in THE VASULKA EFFECT geht es um die jahrzehntelange kreative Partnerschaft der Videokunstpioniere Steina und Woody Vasulka, deren Arbeiten Möglichkeiten der elektronischen Bild- und Klangerzeugung ausgelotet haben.

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