Film als soziopolitische Handlung – Berlinale Talents Interview mit Welket Bungué und Natascha Noack


Still aus MUDANCA von Welket Bungué © Kussa Productions

Still aus MUDANCA von Welket Bungué © Kussa Productions

Bei der Berlinale 2020 gelang dem Schauspieler und Filmemacher Welket Bungué mit seiner Hauptrolle in der Neuadaption von BERLIN ALEXANDERPLATZ der internationale Durchbruch. In der Sektion Forum Expanded präsentiert er in diesem Jahr seinen Kurzfilm MUDANÇA und nimmt im Rahmen von Berlinale Talents an einem Vortrag mit der Filmwissenschaftlerin Natascha Noack teil. Zusammen liefern sie uns in diesem Interview Einblicke in die postkolonialen Hintergründe des Films und ihr Leben und Arbeiten während der Corona-Pandemie.

Es ist viel passiert seit der 70. Berlinale. Filmproduktionen und deren Vermarktungsmöglichkeiten unterliegen zurzeit gravierenden Einschränkungen, ebenso wie das alltägliche Leben. Wie lebt und arbeitet ihr in dieser herausfordernden Zeit?
Natascha Noack: Ich kann mich sehr glücklich schätzen. Zum einen waren wir in der Position, dass die letzte Berlinale stattfinden konnte und wir damit ein letztes Feuerwerk an kreativem Austausch und Inspiration hatten. Zum anderen konnte ich den Corona-Lockdown wie ein Sabbatical nutzen und Projekte in Angriff nehmen, die schon seit Ewigkeiten auf meinem Tisch lagen. Ich habe meine Kinder im Homeschooling unterrichtet, mit meiner Familie ist alles wirklich gut verlaufen. Zudem wurden wir als unabhängige Künstler in Deutschland von der Regierung unterstützt. Dadurch fühle ich mich in dieser Situation sehr privilegiert. Ich habe aber auch viele Bekannte, denen es schlechter ergeht.
Welket Bungué: Dem kann ich nur zustimmen. Meine Familie ist gesund, ich konnte aus beruflichen Gründen einige Male reisen. Der Film MUDANÇA ist ein Resultat dieser Möglichkeit, ein Projekt in Portugal umsetzen zu können. Es war eigentlich als Bühnenstück geplant, aber da es nicht aufgeführt werden konnte, habe ich es stattdessen verfilmt. Ich habe ein paar weitere Projekte abschließen können, aber sah mich ebenfalls gezwungen, zumindest teilweise eine Auszeit zu nehmen. Jetzt gerade bin ich in Brüssel, um einen Spielfilm zu drehen. Und ich freue mich sehr, dass MUDANÇA für das Programm der Berlinale ausgewählt wurde.

Wie ist das Konzept zu deinem Kurzfilm MUDANÇA zustande gekommen?
WB: Im Juli vergangenen Jahres war ich mit meiner Partnerin in Marseille, als die Menschen dort zum ersten Mal seit einiger Zeit für das Festival „La Fête des Terrasses“ wieder nach draußen gehen durften. Nach Monaten des Social Distancing konnte man wirklich sehen, wie sehr die Leute das genossen haben. Ich war damals mit dem künstlerischen Leiter des Teatro do Bairro Alto in Lissabon in Kontakt, der mir die Aufgabe anbot, ein Projekt über das Thema der systemrelevanten Arbeiter zu entwickeln. Ich habe die glücklichen Menschen in Marseille gefilmt und zeitgleich das kreative Team hinter MUDANÇA versammelt. Ich nahm zwei Prosagedichte meines Vaters Paulo T. Bungué und habe die portugiesische Parlamentarierin Joacine Katar Moreira für ein Performance-Stück eingeladen, bei dem ich versuchte, ihre Aussagen in Bewegung umzuwandeln. Das Herzstück dieses Films ist der spontane und sehr persönliche Vortrag von Joacine. Da das Teatro do Bairro Alto kein Publikum empfangen konnte, habe ich Künstler dazu eingeladen, sich an diesem audiovisuellen Werk zu beteiligen.

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