Film als soziopolitische Handlung – Berlinale Talents Interview mit Welket Bungué und Natascha Noack


Handelt es sich dabei um eine persönliche Arbeit, die eng mit deiner Biographie verknüpft ist?
WB: Ich habe versucht, einen Bezug zu den Bewohner*innen des Bijagó-Archipels in Guinea-Bissau herzustellen. Da wir nicht dorthin reisen konnten, musste ich diese Eindrücke artifiziell reproduzieren. Ich verwendete Fotos, die ich 2018 in den Amazonaswälder aufgenommen habe und projizierte diese über die Körper auf der Bühne. Wir konnten Kompositionen von Mû Mbana verwenden, einem Musiker aus Guinea-Bissau mit einem sehr besonderen Stil.

Welche Rolle spielt das Politische im Film für euch? Welche Herausforderungen stellen diese Thematiken von Körperlichkeit und Identität heutzutage an Filmemacher und auch an das Publikum?
NN: Ich könnte diese Frage umkehren, und das wäre glaube ich auch eine Antwort. In MUDANÇA versetzt Welket die Politikerin in eine Performance-Rolle und macht sie dadurch zu einer Künstlerin. Durch diese Vermittlungsform wird ihre Botschaft so viel gehaltvoller und tiefgründiger. Genau das ist eine sehr politische Frage: Wie können wir einer einfachen Botschaft, die sich auf manipulative Weise direkt an einen Adressaten richtet, Leben einhauchen? Wie können wir dabei auch deren Widersprüchlichkeit und Vielschichtigkeit herausarbeiten?
WB: Joacine ist eine intelligente Persönlichkeit mit starken Werten, sie ist sehr kampfstark. Wir hatten das Glück, dass sie meine Einladung zu diesem Projekt akzeptiert hat. Das Ziel dieses Kurzfilms ist, dass er uns ein Ethos vermittelt. Ich bezeichne das Werk als Film-Tanz, der gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen als filmische Intervention agieren soll. Wir dekonstruieren damit die epistemologische Perspektive der Europäer. Wir haben afro-europäische Körper, die nicht nur die Sprache von Europa sprechen sollen. Wir können Botschaften auch auf anderen Wegen übermitteln und dadurch Interesse und Verständnis erzeugen.
NN: Wenn wir über das Politische im Film sprechen, gibt es oft Filme, die zum Handeln aufrufen. MUDANÇA ist gleichzeitig bereits eine soziopolitische Handlung an sich.

In eurer Veranstaltung im Rahmen von Berlinale Talents sprecht ihr über digitale Realitäten und auf welche Weise diese – vor allem durch die Pandemie – in das physische Leben eindringen. Würdet ihr das Konzept von digitalen Realitäten eher positiv oder negativ konnotieren?
NN: Für mich ist es erstmal ein Experimentierraum, da ich nicht versuche, das Potenzial der digitalen und der physischen Realitäten zu definieren, sondern vielmehr mit diesen spiele.
WB: Ein Vorteil ist, dass wir durch dieses Format diesen Moment dokumentieren können. Es ist ein Moment der Pandemie, aber es ist auch ein Moment, in dem wir unsere Gesichter sehen können und in dem wir zuhören können, worüber wir genau sprechen. An einem Festival von dieser Größenordnung teilnehmen zu können ist einzigartig. Unsere Dialoge werden dokumentiert. Es ist ein spezifischer Augenblick, in dem wir unsere Umgangsformen mit dieser Unmöglichkeit des Beisammenseins festhalten können.

Welche Hoffnungen habt ihr für die Entwicklung im Jahr 2021 und in der Zukunft?
NN: Ich werde versuchen, viele Dinge beizubehalten, die ich für mich entdeckt habe und die zurück in meine Kindheit und Jugend gehen. Damit meine ich das Verstreichen der Zeit und bestimmte Empfindungen, die damit einhergehen. Diese möchte ich bewahren und sogar erweitern, falls möglich. Ich weiß das ist schwierig, vor allem in der digitalen Welt, aber das ist mein großes Ziel.
WB: Ich möchte mehr Bücher lesen und einige persönliche Projekte abschließen. Ein Buch [mit der Prosa meines Vaters] veröffentlichen und mich bereithalten für das, was kommt. Letztes Jahr konnte ich nicht so viel als Schauspieler arbeiten und ich glaube, dass dies sehr gut für meinen Körper ist. Ich bin optimistisch.

Interview und Übersetzung: Henning Koch

1 2