„Man erkennt, dass es oft nicht viel braucht, um abzurutschen.“ – Interview mit David und Saša Vajda, Regisseure von JESUS EGON CHRISTUS


Im Rahmen der 71. Berlinale präsentierten die Brüder David und Saša Vajda ihr Spielfilmdebüt in der Perspektive Deutsches Kino. Sie haben ein intimes Porträt einer sonst wenig im Vordergrund stehenden Gemeinschaft geschaffen. Die Darstellung von Drogenszene und Drogenabhängige findet im Spielfilm oft klischiert oder romantisiert statt. Durch ihre langjährige Recherchezeit und der intensiven Arbeit mit den Betroffenen bieten die Regisseure mit JESUS EGON CHRISTUS eine differenziert, ungeschönte und äußerst sensible Sicht auf ihre Protagonisten. Mutig zeigen sie eine harte Realität, die durch die leichte Ironie, die einzelnen Szenen anhaftet, umso trostloser und eindringlicher wirkt.

Egon ist einer von mehreren Menschen mit einer Drogenabhängigkeit, die in einer kleinen religiösen Gemeinschaft abseits der Stadt zusammen leben. Geleitet wird die Einrichtung von einem Pastor, der ihnen Gottes Wort mit strenger Disziplin eintrichtert. Egon leidet wegen des Drogenmissbrauchs an einer psychischen Störung, die ihn etwas widerständiger machen gegen die aufgestellten Regeln. Auf diese Weise stellt er die Geduld des Pastors regelmäßig auf die Probe, gleichzeitig ist er der einzige, der sich mit vermeintlicher Naivität traut, die Worte aus der Bibel auf ihre Sinnhaftigkeit zu hinterfragen.

Wir haben David und Saša Vajda zum Gespräch getroffen und über ihren Film gesprochen. Sie erzählen von ihrer Motivation, sich mit dem Stoff auseinanderzusetzen

David Vajda © Saša Vajda

David Vajda © Saša Vajda


Eine Frage, die einem auf der Zunge liegt ist, wieviel Reales ihr in den Film eingebaut habt. Spielen sich die Protagonisten selbst und gibt es eine solche Gemeinschaft in dieser Form tatsächlich?
David Vajda: Außer der Darsteller des Pastors (Sascha Alexander Geršak) und Egons (Paul Arámbula) sind die anderen Laien. Paul alias Egon war nie abhängig, ist auch nicht verrückt. Die anderen stammen aus der Berliner Drogenszene und haben verschiedene Abhängigkeiten. Wir haben sie in einer Moabiter Fixerstube und in einer Methadon-Abgabestelle aus dem Wedding kennengelernt. Sie spielen sich selbst in einem fiktionalisierten Rahmen. Das heißt, dass keiner 100% sich selbst spielt. Wir haben basierend auf Geschichten und Figuren aus der Realität Fiktion geschrieben. Wir hatten eine zweieinhalb Jahre lange Recherchephase, in der wir uns in der Szene bewegt haben und auch solche Gemeinschaften, die von einem solchen religiösen Leiter geführt werden, gesehen haben. Meistens sind das selbst ehemalige Drogenabhängige.

Wie entstand die Idee zum Film?
Saša Vajda: Wir leben in Neukölln und sehen auf der Hermannstraße viele Drogenabhängige. Das ist ein Sammelbecken für Halbstarke, Menschen mit psychischen Problemen und eben für Abhängige. Es war die Neugierde für unser Umfeld und für diese Szene, die uns dazu brachte, uns genauer mit der Szene auseinanderzusetzen.

DV: Es scheint, dass die meisten es einfach akzeptieren, dass es diese Menschen gibt und sich ihre Welt nicht der eigenen vermischt. Uns hat es aber vielmehr überrascht und wir wollten diese Leute kennenlernen.

Die Figur des Leiters und Predigers ist etwas zwiespältig. Zum einen nutzt er eine Sprache der Erniedrigung, andererseits scheinen ihm seine Schützlinge wirklich wichtig zu sein. Gab es da ein reales Vorbild an das sich die Figur orientiert?

Saša Vajda © Elena Peters Arnolds

Saša Vajda © Elena Peters Arnolds

SV: Solche selbsternannte Pastoren, die aus evangelikalen Gemeinden stammen, gibt es. Meistens haben sie, wie wir bereits sagten, einen ähnlichen Hintergrund wie die Menschen, die sie dann betreuen. Sie haben in der Regel ein Jahr Bibelschule und leiten dann diese Einrichtungen. Dort wird dann die Bibel wortwörtlich ausgelegt. Unsere Recherche zeigte, dass dies ziemlich ambivalent sein kann. Sicherlich ist es nicht möglich ein gleiches Urteil über alle zu fällen, aber ein gewisser Machtmissbrauch zeichnet sich ab. Es stellt sich die Frage, wie gut so jemand mit Autorität umgehen kann.

DV: Vielleicht ist es auch ein unbewusster Machtmissbrauch, weil sie einfach nicht mit diesen Menschen umgehen können. Auf jeden Fall scheint es etwas fahrlässig und bietet viel Konfliktpotential.

Egon ist aus religiöser Sicht eine schwierige Figur. Es gibt Vorstellungen, dass „Verrückte“ einen besseren „Draht“ zu Gott hätten. Wahnsinn und religiöser Fanatismus stehen sich auch nicht ganz so fern. Welche Rolle spielt Egon für euch?
SV: Wir stellten uns die Fragen, was passiert wenn man auf diese heilige Schrift mit einem zerrütteten Geist trifft?

DV: Er will verstehen, nimmt es sehr ernst und scheitert schließlich.

Egon übernimmt den Part des „Aufklärers“ und „Aufgeklärten“ in gewisser Weise. Er hat die Tricks von Jesus durchschaut und stellt sich damit auf die gleiche Ebene mit ihm. An der Logik seines Gedankengangs ist eigentlich nichts auszusetzen. Aber er kann sich das nur erlauben, weil er „anders“ ist und psychisch verwirrt, oder?
SV: Er nimmt es wortwörtlich. Ja, etwas aufklärerisches hat er. Er ist auch nervig, aber charmant und der Pastor ist mit ihm geduldiger als mit den anderen.

DV: Kann sein, dass er etwas mehr Freiheiten hat als die anderen.

Gab es ein festes Drehbuch oder blieb Raum auch für Improvisation?
SV: Beides. Wir hatten eine Art Skizze, auf der die Handlung und die Geschichte basierte, andere Szenen sind 100% improvisiert. Wir wollten fähig sein, spontan an das, was vor Ort passiert, reagieren zu können.

DV: Es gab ein mehr oder weniger fertiges Drehbuch, das aber ständig angepasst wurde.

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