Der Blick auf den Anderen – Das 13. DOKUARTS – Festival für Filme zur Kunst


DokuArts Key Visual © DokuArts
DokuArts Key Visual © DokuArts

Nach drei Jahren Pause zeigt das DOKUARTS – Festival für Filme zur Kunst in den kommenden Tagen wieder eine beachtliche Reihe an Berlin-, Deutschland- und Europapremieren. Vom 4. bis 15. Oktober können in drei Berliner Kinos unter dem Motto „Visual Alterity“ 18 Filme aus 14 Ländern entdeckt werden. Fokus des Festivals bleibt die filmische Auseinandersetzung mit Kunst und Künstler_Innen. Von intimen Porträts über Langzeitbeobachtungen, dem retrospektiven Blick bis hin zur filmessayistischen Form wird dem interessierten Publikum vieles geboten.

Neu ist der Standort. Vom Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums ist das DOKUARTS für seine 13. Ausgabe ins Kino in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg gezogen, wo vom Eröffnungstag bis zum ersten Festivalwochenende das gesamte Programm mit zahlreichen internationalen Gästen präsentiert wird. Zusätzlich werden das BrotfabrikKino in Weißensee und das KLICK Kino in Charlottenburg bis zum 15. Oktober je eine Auswahl an Wiederholungen zeigen.

Im Haus für Poesie, ebenfalls in der Kulturbrauerei, findet zudem am Samstag, 7. Oktober, das DOKUARTS Forum „Visual Alterity“ statt, das sich dem filmischen Blick auf den Anderen widmet und der Frage nachgeht, wie sich das Selbst in der Auseinandersetzung mit dem Anderen als Identität im Fluss formiert und wie die Künste und die Kunst des Dokumentarfilms dem Anderen eine Stimme geben. Dazu wird schon am 6. Oktober mit GOING TO MARS: THE NIKKI GIOVANNI PROJECT (Kino in der Kulturbrauerei, Freitag, 6.10.2023, 19:30 Uhr · Zu Gast: Joe Brewster and Michèle Stephenson im Gespräch mit Bert Rebhandl / KLICK Kino, Mittwoch, 11.10.2023, 20 Uhr / BrotfabrikKino, Sonntag, 15.10.2023, 20 Uhr) der Gewinner des Großen Preises der Jury beim diesjährigen Sundance Film Festival  als Europapremiere gezeigt. Joe Brewster und Michèle Stephenson, die in dem collageartigen Film die Poetin und politische Aktivistin Nikki Giovanni porträtieren und dabei versuchen, der rhythmischen Form ihrer Dichtung ein filmisches Äquivalent zu schaffen, werden ebenso anwesend sein wie Yoram Ron, dessen ABSENT GOD (Kino in der Kulturbrauerei, Freitag, 6.10.2023, 21:30 Uhr · Zu Gast: Yoram Ron im Gespräch mit Bert Rebhandl / BrotfabrikKino, Donnerstag, 12.10.2023, 18 Uhr) auf der DOKUARTS 2016 seine Deutschlandpremiere feierte und der nun im Rahmen des Forums eine Wiederaufführung erlebt. Rons Essayfilm beschäftigt sich mit der Aktualität und politischen Bedeutung der Philosophie Emmanuel Levinas’, die in ihrer lebenslangen Auseinandersetzung mit dem Denken des Anderen eine „Ethik des Angesichts“ ermöglicht, die das komplexe Verhältnis von Ethik und Ästhetik immer wieder neu denken lässt.

Levinas’ Denken über den Anderen setzt den Rahmen für Gespräche, Vorträge, einen Live-Essay und eine Paneldiskussion während des Forums, bei dem auch Filmemacher und -restaurator Ross Lipman mit drei Werken prominent vertreten ist.

APOLONIA, APOLONIA © Lea Glob, Apolonia, Apolonia_Courtesy of Danish Documentary Production

Dass Künstler_Innenporträts inzwischen auch auf den großen so genannten A-Filmfestivals auf starke Resonanz treffen und sogar Hauptpreise gewinnen, nimmt man bei den Organisator_Innen des DOKUARTS wohlwollend zur Kenntnis, hat man sich diesem Subgenre des Dokumentarfilms doch seit der Erstausgabe des Festivals im Jahr 2006 gewidmet. Erfreulich ist auch, dass sich der in den letzten Jahren stetig wachsende Trend, sich dem weiblichen Blick zu öffnen, in der Gestaltung des Festivalprogramms niederschlägt. Zwölf der 18 präsentierten Filme wurden von Frauen geschaffen. Das gilt auch für den starken Eröffnungsfilm APOLONIA, APOLONIA (Kino in der Kulturbrauerei, Mittwoch, 4.10.2023, 19:30 Uhr (Festivaleröffnung) · Zu Gast: Lea Glob im Gespräch mit Barbara Behrendt / KLICK Kino, Donnerstag, 5.10.2023, 20 Uhr / BrotfabrikKino, Freitag, 13.10.2023, 20 Uhr), in dem die dänische Regisseurin Lea Glob die Künsterin Apolonia Sokol porträtiert. Der Film, in dem Glob zunächst nur die junge Künstlerin zeigen wollte, die damals in einem Untergrundtheater in Paris lebte, wuchs sich zu einer 13 Jahre währenden Langzeitstudie aus, die den bewegten Werdegang Apolonias nachzeichnet. In den Gesprächen über Weiblichkeit, Liebe, Beziehungen zu Anderen, Sexualität und Kreativität reflektieren beide, Künstlerin wie Filmemacherin, ihren Weg und ihren Erfolg in einer Welt, die von Patriarchat, Kapitalismus und Krieg dominiert wird. APOLONIA, APOLONIA wurde schon auf mehreren internationalen Festivals gezeigt und ausgezeichnet und befindet sich auch in der Auswahl zum Europäischen Filmpreis 2023.

Ein weiteres Highlight dürfte Nancy Buirskis DESPERATE SOULS, DARK CITY AND THE LEGEND OF MIDNIGHT COWBOY (Kino in der Kulturbrauerei, Donnerstag, 5.10.2023, 19:30 Uhr / BrotfabrikKino, Samstag, 14.10.2023, 18 Uhr / KLICK Kino, Samstag, 14.10.2023, 20 Uhr) sein. Die im August 2023 überraschend verstorbene Bruirski widmet sich in ihrem letzten Film dem Hintergrund und der Entstehungsgeschichte des legendären New Hollywood-Klassikers MIDNIGHT COWBOY (in Deutschland: ASPHALT COWBOY), der 1970 als bislang einziger mit einem – üblicherweise pornografischen Produktionen vorbehaltenen – X-Rating belegte Film, den Oscar als Bester Film des Jahres gewinnen konnte. Der unwahrscheinliche Erfolg von John Schlesingers Stricher & Penner-Ballade scheint in Bruirskis mit zahlreichen Interviews, historischem Archivmaterial und New Yorker Straßenszenen garniertem Film nochmals auf. Und die vielen farbenfrohen Ausschnitte aus dem Originalfilm sind eine wenig indirekte Aufforderung, sich dieses Meisterwerk aus einer Zeit des Umbruchs, als das klassische Hollywood-Studiosystem in sich zusammenbrach und das viel düstere und entsprechend aufregendere Kino des New Hollywood gebar, mal wieder anzuschauen.

Thomas Heil

Das DOKUARTS Berlin findet vom 4. bis 15. Oktober 2023 statt. Das ausführliche Programm findet sich hier.