Oscarverleihung 2025 – Eine Einführung


© Luke Besley, Unsplash
© Luke Besley, Unsplash

Am 2. März werden in Los Angeles zum 97. Mal die Oscars verliehen. Eine turbulente Awards Season neigt sich damit ihrem krönenden Abschluss entgegen. Ein schwieriges Jahr 2024 liegt hinter der Branche, dessen erste Hälfte von kolossalen Flops geprägt war und das erst im letzten Drittel einigermaßen Anschluss an den erfolgreichen Vorgängerjahrgang fand. Die Auswirkungen des großen Streiks der Schauspieler und Drehbuchautoren im vorgegangenen Sommer waren ebenso spürbar wie die sich dramatisch zuspitzende politische Lage in den USA am Ende des vergangenen Jahres.

Die nun nominierten Filme ergeben einen eklektischen Mix einer sich weiter ausdifferenzierenden Branche. Doch wie so oft ist auch diese Oscarverleihung geprägt von einem Skandal und einigen weiteren Skandälchen. Das Thema KI – schon beim großen Streik ein Hauptpunkt – bleibt virulent, haben doch einige nominierte Filme auf die nach wie vor umstrittene Technik gesetzt und sich dadurch, wie einige Kritiker meinen, einen unlauteren Vorteil verschafft. Im wahrscheinlich prominentesten Fall – THE BRUTALIST – wurde KI verwendet, um die schwierigen ungarischen Textpassagen anzupassen. Im Grunde genommen nimmt die KI hier die Funktion eines Special Effects auf der Soundebene ein. Der Popularität des Films scheint diese Diskussion jedenfalls nicht geschadet zu haben.

Sehr viel schwer wiegender waren da schon die Vorwürfe gegenüber EMILIA PÉREZ, die den Erfolgschancen des meistnominierten Films des Jahres einen gründlichen Strich durch die Rechnung gemacht haben dürften. Seit seiner Premiere in Cannes hatte es Kontroversen zu dem Film gegeben, die sich auf die sehr eindimensionale Darstellung der mexikanischen Kultur wie auf die zumindest fragwürdige Interpretation von Transidentität bezogen. Kurz nach dem Nominierungserfolg gab Regisseur Jaques Audiard, ein Franzose, ein Interview, das von vielen Mexikanern als herablassend und arrogant empfunden wurde. Audiards Aussage, er habe Mexiko als Ort seiner fiktiven Handlung gewählt, weil es von Armut und Gewalt geprägt sei und die „mexikanische Sprache“ (sic!) eine der Armut sei, war jedenfalls alles andere als sensibel.

Audiards Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón, immerhin die erste Transfrau, die für einen Schauspieloscar nominiert wurde, schürte derweil den Verdacht, das Team des brasilianischen Films FÜR IMMER HIER würde eine Kampagne gegen EMILIA PÉREZ führen. Der Vorwurf wog schwer und hätte nach Academy Statut sogar zum Entzug der Nominierungen führen können. Nach eingehender Prüfung entlastete die Academy die Brasilianer. Deren Fans schauten sich nun aber die früheren Einlassungen Gascóns genauer an und was sie fanden, löste einen beispiellosen Sturm der Entrüstung aus.

Gascón hatte nämlich in der Vergangenheit auf verschiedenen Social Media Kanälen über alles und jeden hergezogen und war dabei auch vor übelsten Beleidigungen nicht zurückgeschreckt. Ihre zutiefst rassistischen, antisemitischen und antimuslimischen Tweets brachen der Kampagne von Emilia Pérez schließlich das Genick. Wenn der Film am Sonntag mit zwei, vielleicht drei Oscars ausgezeichnet wird, muss das schon als großer Erfolg gewertet werden.

Doch genug des Klatschs. Schauen wir kurz auf die Nominierten.

Statistiken und Rekorde

Mit den meisten Nominierungen geht, wie bereits erwähnt, EMILIA PÉREZ ins Rennen. Ganze 13 Mal darf er hoffen und schrammt damit nur um eine Nominierung (vielleicht für Selena Gomez als Nebendarstellerin?) am ewigen Rekord vorbei. Nur ALL ABOUT EVE (1950), TITANIC (1997) und LA LA LAND (2016) kamen auf 14 Nominierungen. Damit ist EMILIA PÉREZ allerdings der bislang meistnominierte nichtenglischsprachige Film. CROUCHING TIGER HIDDEN DRAGON (2000) und ROMA (2018) teilten sich diesen Rekord bisher mit je zehn Nominierungen.

Auf je zehn Nominierungen kommen auch THE BRUTALIST und WICKED, mit dem Unterschied, dass THE BRUTALIST in allen „wichtigen“ Kategorien (neben Film auch Regie, Drehbuch, Hauptdarsteller, Kamera und Schnitt) genannt wird, während WICKED weder für Regie noch für das Drehbuch nominiert wurde, was einem Knock Out in der Hauptkategorie gleichkommt. Der letzte Film, der ohne diese beiden Nominierungen als Bester Film ausgezeichnet wurde, war GRAND HOTEL im Jahr 1932.

Bereits zum 7. mal in Folge ist mindestens ein nichtenglischsprachiger Film als Bester Film nominiert. Mit dem französischen Beitrag EMILIA PÉREZ und Brasiliens FÜR IMMER HIER sind zum zweiten Mal nach dem vergangenen Jahr zwei nichtenglischsprachige Filme und nichtamerikanische Produktionen für den Hauptpreis im Rennen. Zum ersten mal sind damit aber auch zwei Filme für Best Picture nominierte, die zugleich auch in der Kategorie Internationaler Film konkurrieren. FÜR IMMER HIER ist der erste brasilianische und der erste südamerikanische Film überhaupt, der in der Topkategorie genannt wird. Mit EMILIA PÉREZ und WICKED sind zum erstmal seit 1969 zwei Musicals für Best Picture nominiert. Damals gewann OLIVER! unter anderem gegen FUNNY GIRL.

Zum 6. mal in Folge ist mindestens ein Film für den Hauptpreis nominiert, der von einer Frau inszeniert wurde. Coralie Frageat ist als neunte Frau für Regie nominiert. Ihr Film THE SUBSTANCE ist der siebente Horrorfilm der Best Picture werden könnte, nach THE EXORCIST (1973), JAWS (1975), THE SILENCE OF THE LAMBS (1991), THE SIXTH SENSE (1999), BLACK SWAN (2010) und GET OUT (2017).

Produzentin Dede Gardner (NICKEL BOYS) ist zum 8. mal nominiert – ein Rekord als meistnominierte Produzentin, den sie sich nun mit Kathleen Turner teilt. Mit THE BRUTALIST ist zum 11. mal in Folge ein Film nominiert, dessen Regisseur seine Karriere als Schauspieler begann. THE BRUTALIST kommt auf 215 Minuten Laufzeit und ist damit der fünftlängste Film, der um den Hauptpreis konkurriert, nach CLEOPATRA (1963/248 Minuten), GONE WITH THE WIND (1939/238), LAWRENCE OF ARABIA (1962/222) und THE TEN COMMANDMENTS (1956/220).

Mit Karla Sofía Gascón (EMILIA PÉREZ), Cynthia Erivo (WICKED) und Coleman Domingo (SING SING) sind erstmals drei offen queere Schauspieler nominiert. Mit Domingo und Zoe Saldaña (EMILIA PÉREZ) sind auch zum ersten mal zwei afrolateinamerikanische Schauspieler im selben Jahr nominiert. Fernanda Torres (FÜR IMMER HIER) ist die zweite brasilianische Schauspielerin, die für einen Oscar im Rennen ist, nach ihrer Mutter Fernanda Montenegro, die 1998 für CENTRAL DO BRASIL nominiert war, bei dem Walter Salles Regie führte, der auch FÜR IMMER HIER inszeniert hat.

Ralph Fiennes (CONCLAVE) ist 28 Jahre nach THE ENGLISH PATIENT erneut nominiert. Das ist die zweitlängste Pause zwischen zwei Nominierungen als Hauptdarsteller nach den 41 Jahren, die Henry Fonda zwischen THE GRAPES OF WRATH (1940) und ON GOLDEN POND (1981) warten musste. Fonda gewann im zweiten Anlauf, etwa einen Monat vor seinem Tod. Fiennes Kollege Timothée Chalamet (A COMPLETE UNKNOWN) ist als zwölfter Schauspieler für das Porträt eines früheren Oscarnominierten oder -gewinners nominiert. Sein Porträt Bob Dylans, der 2000 einen Oscar für den besten Original Song gewann („Things Have Changed“ aus THE WONDER BOYS), ist auch das achte eines Nobelpreisträgers. Dylan wurde 2017 mit dem Literaturnobelpreis gewürdigt. Sebastian Stan (THE APPRENTICE) wiederum ist der neunte Schauspieler, der für die Darstellung eines US-Präsidenten nominiert wurde und der erste, der für das Porträt eines amtierenden US-Präsidenten genannt wird. Nur Daniel Day-Lewis konnte für LINCOLN (2012) gewinnen.

Die Regisseure Sean Baker (ANORA) und Jaques Audiard (EMILIA PÉREZ) sind für je vier Oscars nominiert, wie vor ihnen Drehbuchautor Elliot J. Clawson (1930), Warren Beatty (1978 und 1981), Songwriter Alan Menken (1991), Joel und Ethan Coen (2007), Alfonso Cuaron (2018) und Chloe Zhao (2020). Nur Francis Ford Coppola (fünf Nominierungen, 1974) und Walt Disney (sechs Nominierungen, 1954) kamen auf mehr. Baker und Audiard konkurrieren jeweils für Produktion (Bester Film), Regie und Drehbuch. Baker ist zusätzlich für den Schnitt seines Films nominiert, während Audiard eine weitere Nominierung in der Kategorie Original Song einfährt.

Für Song ist auch Diane Warren („The Journey“ aus THE SIX TRIPLE EIGHT) wieder nominiert – zum bereits 16. Mal. Sollte sie erneut leer ausgehen, wäre sie gemeinsam mit Sound Mixer Greg P. Russell die meistnominierte lebende Person ohne einen gewonnenen Oscar. Sound Mixer Andy Nelson (WICKED) kommt dagegen auf Nominierung Nr. 25, womit er nach John Williams die meistnominierte lebende Person ist. Nelson gewann bereits für SAVING PRIVAT RYAN (1998) und LES MISÉRABLES (2013).

Oscar Prognose

Für meine Oscar Prognose habe ich mir wieder die verschiedenen Kritikerpreise und die Precursor Awards angeschaut. Neben Golden Globes und Critics Choice Awards (CCA) sind vor allem die Awards der Gewerkschaften, wie der Producers Guild (PGA), der Directors Guild (DGA), der Writers Guild (WGA) und der Screen Actors Guild (SAG) wichtige Indikatoren. Einen guten Einblick in die Präferenzen der Academy Mitglieder geben auch die Awards der Britisch Film Academy (BAFTAS), da viele ihrer Mitglieder auch bei den Oscars stimmberechtigt sind.

Im Unterschied zu den vergangenen beiden Jahren, die ein relativ homogenes Bild abgaben und die Prognose damit sehr leicht machten, haben wir es in diesem Jahr mit einem sehr breit gefächerten Angebot an Möglichkeiten zu tun. Einige Kategorien werden bis zum Moment ihrer Auflösung echte Nailbiter sein. In Dokumentarfilm, Internationaler Film, Animierter Film, Film Schnitt, Original Drehbuch, beiden Hauptdarsteller Kategorien, Regie und auch beim Besten Film ergibt sich kein klares und eindeutiges Bild. Hier kommt es auf Nuancen an und wahrscheinlich auch auf ein bisschen Glück und einen guten Riecher, um den tatsächlichen Gewinner vorherzusagen. In den kommenden drei Tagen werde ich wieder eine Übersicht über die einzelnen Kategorien und ihre wahrscheinlichen Gewinner geben.

Thomas Heil schaut seit 1992 die Oscars – und stellt jedes Jahr seine Favoriten zusammen. Seine Lieblingsfilme haben es oft nicht auf die Liste geschafft, aber darum geht es ja auch nicht, denn Film ist Kunst und kein Wettbewerb, wie man auch über Sinn und Unsinn solcher Preisverleihungen streiten kann. Nur soviel: man sollte sie gewiss nicht zu ernst nehmen.