18. AFRIKAMERA: Die Grenzen des Storytellings austesten

Von 2024 bis 2027 hat hat AFRIKAMERA mit BELIEVE * CHANGE * REFLECT und CREATE ein Themenreihe gesetzt und möchte „den Blick auf vielfältige, inspirierende, wegweisende und mitunter widersprüchliche Sichtweisen auf zentrale gesellschaftliche und politische Fragen der Gegenwart und Zukunft des afrikanischen Kontinents“ richten. Das 2025-Programm blickt mit CHANGE vor allem auf die Transformation gängiger Geschlechterrollen sowie Hierarchien und Machtstrukturen. Dazu passend stellt es vorrangig Werke von weiblichen und weiblich gelesenen Regisseur*innen in den Fokus – und zwar vom 11. bis 16. November im City Kino Wedding, fsk, Sinema Transtopia, BrotfabrikKino, Haus der Kulturen der Welt, Maaya und der Heinrich-Böll-Stiftung.
Für diesen Schwerpunkt steht exemplarisch der Eröffnungsfilm PROMIS LE CIEL/ PROMISED SKY (Tunesien, Frankreich, Katar 2025) der tunesisch-französischen Regisseurin Erige Sehiri oder auch Rungano Nyonis ON BECOMING A GUINEA FOWL, der einen neuen, ungewohnten Blickwinkel auf Missbrauchssstrukturen freigibt. Neben der Vielfalt des afrikanischen Kontinents – es sind Produktionen und Koproduktionen aus Algerien, Burkina Faso, Burundi, Elfenbeinküste, Kap Verde, Lesotho, Nigeria, Ruanda, Senegal, Sudan, Tschad, Togo, Tunesien – und der beleuchteten Themen steht bei AFRIKAMERA auch die formale Vielfalt auf dem Tableau. KHARTOUM lotet beispielsweise die Möglichkeiten der dokumentarischen Erzählens aus und Lemohang Jeremiah Mosese verwebt in ANCESTRAL VISIONS OF THE FUTURE Traum, Essay und Fashion zu einem ganz eigenen Statement.
Zudem werden aktuelle Festivalfilme sowie zwei Kurzfilmprogramme gezeigt und das Festival zieht einen Abend ins Maaya: Am Mittwoch gibt es dort ein Konzert von AFROTRONIX, dem aktuellen, afrofuturistischen Bandprojekt des aus dem Tschad stammenden Produzenten, Gitarristen und Sängers Caleb Rimtobaye, und ein Kurzfilmprogramm. Darüber hinaus sind Talks und Networkveranstaltungen geboten, zum Beispiel BREAKING INTO THE INDUSTRY: TRAINING AND STRATEGIES FOR WOMEN FILMMAKERS.
Mit SPOTLIGHT ON WINDHOEK folgt direkt im Anschluss am das Festival am 19.11. ein Sonderprogramm im Rahmen des Jubiläumsprogramms zu „25 Jahre Städtepartnerschaft Windhoek – Berlin“ im Sinema Transtopia.
Marie Ketzscher
Im Folgenden haben wir drei große Empfehlungen:
KHARTOUM

Darum geht es:
Auf dem Löwen reiten, auf der Taube shisha-rauchend die Stadt überblicken, mit dem Moped ohne Tempobegrenzung in den Himmel rasen oder einfach nur: Wieder zurückkommen. Im beachtlichem Dokumentarfilm KHARTOUM geht es um die Menschen, die aus dem Sudan vor dem Bürgerkrieg fliehen mussten und ihre Träume und Wunschvisionen. Da sind die flaschensammelnden Straßenjungs und besten Freunde Lokain und Wilson, Khadmallah, die Teeladen-Besitzerin und alleinerziehende Mutter, die Mathematik studiert; Jawad, der sich im Widerstand engagierte, sowie Majdi, ein Beamter. Vor Green Screens re-enacten sie gemeinsam sowohl grausame Erlebnisse, die sie zur Flucht bewegten, als auch Momente der Schönheit und des Glücks in ihrer Stadt des Herzens, Khartum. Dabei wechseln sich Re-enactment, Animationssequenzen und „behind-the-scenes“ ab – manchmal sitzen sie auch alle in der Garderobe und sprechen, oft nehmen sie sich tröstend in dem Arm.
Was du zum Film wissen musst:
Man spürt, dass hier eine Geschichte der Hoffnung von der grausamen Realität heimgesucht wurde: Die sudanesischen Regisseur*innen Anas Saeed, Rawia Alhag, Ibrahim Snoopy, Timeea M. Ahmed wollten gemeinsam mit dem britischen Regisseur Phil Cox mit ihren jeweiligen Protagonist*innen den demokratischen Wandel des Landes festhalten, als der Bürgerkrieg losbrach; bis heute sind mehr als 10 Millionen Menschen auf der Flucht. Das Footage wirkt aber nicht dated, sondern fügt sich vielmehr konsequent und mit vitaler, unmittelbarer Energie in die Szenen des Exils ein, die in ihrer hybriden Machart von Erinnerung, Sehnsucht und natürlich von Idealisierung erzählen. Die Courage aller Filmschaffenden, die formale Bandbreite in Sachen Narration und Stilmittel – jede*r Protagonist*in wurde von einer anderen Regie inszeniert, was auch unterschiedliche Tonalitäten mit sich bringt – für das Porträt eines zerrissenen Landes voll auszuschöpfen, Gradwanderung zum Kitsch inklusive, macht KHARTOUM so wahnsinnig sehenswert. – MK
Termine bei AFRIKAMERA
Samstag, 15. November, 21.30 Uhr, City Kino Wedding
Sonntag, 16. November, 17.30 Uhr, fsk Kino
MUNA

Darum geht es:
Muna, eine britische Teenagerin mit somalischen Wurzeln, hat nur ein Wunsch: gemeinsam mit ihren Mitschüler*innen an der geplanten Klassenfahrt teilzunehmen. Voller Vorfreude erstellt sie für ihre Freund*innen und für sich selbst eine Playlist für die Reise. Doch es gibt ein Problem: Ihre Eltern haben der Teilnahme noch nicht zugestimmt. Als Munas Großvater aus Somalia, den sie nie kennengelernt hat, plötzlich stirbt, droht Munas Traum zu zerbrechen.
Was du zum Film wissen musst:
Kurzfilm-Regisseurin und -Drehbuchautorin Warda Mohamed kam über ihre Tätigkeit als Regieassistentin zum Film. Für MUNA erhielt sie bei den British Independent Film Awards und bei den London Critics’ Circle Film Awards eine Nominierung für den besten britischen Kurzfilm, bei den British Short Film Awards gewann sie den Preis für den besten Kurzfilm. In MUNA beschäftigt sie sich mit dem Aufwachsen zwischen zwei Kulturen, Geschlechterungerechtigkeit in der Erziehung – und mit Musik, die Halt gibt. – StB
Termin bei AFRIKAMERA
Sonntag, 16. November, 15.00 Uhr, City Kino Wedding (Teil des Kurzfilmprogramms CHANGE)
ON BECOMING A GUINEA FOWL

Darum geht es:
Die Reifen quietschen, Shula bremst hart. Vor ihr auf der Straße liegt Onkel Fred, augenscheinlich tot. Sie hält inne, sie schaut, sie schaut und schaut teilnahmslos. Bis ihre betrunkene Cousine eintrifft, die die Polizei alarmiert. Es sei ja kein Notfall, sie sollen einfach warten. Shula bleibt weiter unbewegt, höchstens genervt von der in sie dringenden Verwandten. Denn Fred had it coming. Als sie ein kleines Mädchen war, hat er sie missbraucht und ihre Mutter zwang sie, das Geheimnis für sich zu behalten. Doch es gibt keinen Platz, seinen Tod auf sich wirken zu lassen, erleichtert zu sein, denn ihre Großfamilie zwängt sie sofort in die Riten der Trauer und des Begräbnisses. Frauen müssen gemeinsam klagen. Alle bekochen. Kein Mann rührt einen Finger. Und Freds Frau, erst 11, als er sie ehelichte und ihr sechs Kinder machte, sei faul, ein Nichtsnutz, nur nach dem Geld der Familie her. Shula wehrt sich, und sie schmiedet weibliche Allianzen, versucht im Kleinen und Großen, das System sexuellen Missbrauchs zu durchbrechen.
Was du zum Film wissen musst:
ON BECOMING A GUINEA FOWL ist ein echtes Erlebnis. Rungano Nyoni, die sambisch-walisische Regisseurin von I AM NOT A WITCH, schafft es mit reduziertem Tableau, magisch-realistischen Elementen und einem tollen Cast – allen voran Susan Chardy als ganz ganz leise aufbegehrende Shula – das klaustrophobische Gefangensein im System (Familien)-Missbrauch beklemmend einzufangen. Und er zeigt mutige, starke Frauen einer neuen Generation, die nicht mehr länger schweigen wollen. Trotz harter Thematik ist er nicht schwer, sondern oft auch humorvoll, gerade dann, wenn er die Absurditäten der Riten oder Erbstreitigkeiten festhält. Mit einem großartigen Score unterlegt, navigiert ON BECOMING A GUINEA FOWL zudem, wo insgesamt Bruchlinien in der Gesellschaft verlaufen, und zeigt die Abkehr vom dörflichen Leben als mitunter einzige Möglichkeit eines Neuanfangs. – MK
Termin bei AFRIKAMERA
Donnerstag, 13.11., 20 Uhr, City Kino Wedding