62. Nordische Filmtage: CHARTER von Amanda Kernell


Alice (Ane Dahl Torp) and her son Vincent (Troy Lundquist) - Still aus CHARTER von Amanda Kernell © Sophia Olsson

Alice (Ane Dahl Torp) and her son Vincent (Troy Lundquist) – Still aus CHARTER von Amanda Kernell
© Sophia Olsson

Alles zum Wohle der Kinder

CHARTER ist der zweite Spielfilm der schwedischen Regisseurin Amanda Kernell. Der Film feierte früher in diesem Jahr in Sundance seine Weltpremiere und war nun jüngst im Programm der Nordischen Filmtage in Lübeck. Nach dem Erfolg ihres ersten Spielfilms SAMI BLOOD (dt. Titel DAS MÄDCHEN AUS DEM NORDEN) im Jahr 2016, der ebenfalls in Sundance gezeigt, aber auch an der Berlinale mit positiver Kritik bedacht wurde, erwartete man ihr nächstes Werk mit großer Spannung. Mit diesem Familien- und Gesellschaftsdrama enttäuscht Kernell nicht. Genauso wie SAMI BLOOD überzeugt der Film durch eine stringente und souveräne Inszenierung sowie einem klugen und differenzieren Drehbuch.

Weiterlesen: Unsere Kritik zu SAMI BLOOD oder DAS MÄDCHEN AUS DEM NORDEN von Marie Ketzscher.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Alice (Ane Dahl Torp), eine junge Mutter, die in Stockholm lebt, während ihr Mann und ihre beiden Kinder in einer ländlichen Provinz Schwedens leben. Alice hat diesen Ort verlassen, um eine vielversprechendere berufliche Perspektive zu suchen, was ihr Mann nicht akzeptieren kann. Er empfindet ihre Entscheidung als persönlichen Affront und rächt sich, indem er ihr die Kinder entzieht. Ein erbitterter Sorgerechtsstreit ist im Gange. Alice wird von ihrer Schwiegerfamilie angefeindet und als minderwertig hingestellt. Sie sei eine Frau von fragwürdiger Moral und instabilem Charakter. Das Jugendamt des Ortes, verbandelt mit der Familie, macht ihr keine Hoffnungen. Verzweifelt und sich der Folgen nicht ganz bewusst, flieht sie mit ihrer Tochter Elina (Tintin Poggats Sarri) und ihrem Sohn (Troy Lundkvist) Vincent mit dem ersten Charterflug aus Schweden nach Teneriffa.

Die Szenerie ändert sich radikal von einem Land mit großer Kälte mit viel Schnee und Dunkelheit zu einem warmen, sonnigen und klaren Ort. Diese Passage ist nicht nur physisch, sondern symbolisiert auch den Geisteszustand von Alice. Wenn sie sich in Schweden unterdrückt, entmutigt und eingesperrt fühlte, findet sie auf der Insel wieder zu einem Lächeln. Sie ist entschlossen, eine angenehme Woche mit ihren Kindern zu verbringen und zwischen sich und ihnen eine neue gemeinsamen Vertrauensbasis aufzubauen. Bald erkennt Alice jedoch die Distanz, die zwischen ihnen entstanden ist, ohne dass sie die wahren Ursachen versteht und ohne dass sie schließlich ein Heilmittel dafür kennt.

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