71. Berlinale: MEMORY BOX von Joana Hadjithomas & Khalil Joreige


Hadjithomas & Joreige scheint daran gelegen, die multimedialen Briefwechsel zu dem Smartphone-Gebrauch von Alex in Kontrast zu setzen. Während sie heutzutage Nachrichten, Tonaufnahmen und Bilder in Sekundenschnelle mit ihren Freund*innen austauschen kann, bereitete dies damals größere Umstände. Ebenfalls behandelt das Regie-Duo den materiellen Zerfall und die Veränderung der analogen Medien, beispielsweise als Maia eine Fotorolle mit Aufnahmen von ihrem Vater auf dem Totenbett entwickelt und diese mittlerweile stark ausgeblichen sind. Jedoch wird dabei die Gelegenheit verpasst, diese Materialität tiefgründig zu thematisieren. Für die Handlung ergeben sich daraus keine Konsequenzen. Stattdessen wird dieses Puzzle aus Erinnerungen und Bildern dazu verwendet, eine nostalgische Sentimentalität zu entwickeln, die sich vom Kriegsgeschehen im Hintergrund abhebt. Reale Aufnahmen vermischen sich mit fiktiven Sequenzen in Vintage-Optik, untermalt von einem romantisierenden New Wave-Soundtrack.

Positiv zeigt sich, dass die Geschichte des Libanonkrieges aus dem Blickwinkel der Mutter und in der Fantasie der Tochter nicht als tristes Kriegsdrama dargestellt wird. Vor allem ist es eine Liebesgeschichte innerhalb der Krise. Maia war jung und wollte trotz aller Beschränkungen und Bombenhagel frei sein und ihr Leben genießen, auch wenn der Schrecken des Konflikts sich nicht ausblenden ließ. So begibt sich Alex in diesem Simulacrum sowohl in die Bombenkeller, als auch auf wilde Partys und in eine Kinovorstellung von Brian De Palmas PHANTOM OF THE PARADISE, in deren dunklen Sitzreihen junge Pärchen den neugierigen Blicken der Eltern zu entkommen suchen. Und sie stößt auf ein dunkles Familiengeheimnis, welches das distanzierte Verhältnis von Maia zu ihrer Vergangenheit im Libanon erklären könnte.

Als Maia schließlich mit ihrer Tochter nach Beirut reist, um sich auf die Suche nach den Relikten ihrer Jugend zu machen und die Skyline der Stadt in der auf- und untergehenden Sonne zu sehen ist, ruft dies gleichzeitig Erinnerungen an die dramatischen Bilder der Detonation aus dem vergangenen Jahr wach. Bilder, welche die Welt über digitale Fotos und Internetvideos zu Gesicht bekam.

Henning Koch

MEMORY BOX, Regie: Joana Hadjithomas & Khalil Joreige, Darsteller*innen: Rim Turki, Manal Issa, Paloma Vauthier, Clémence Sabbagh, Hassan Akil

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