„Kein Großes Ding“ von Klaus Lemke
Fake-Bohème und Lidl-Tüten
Welches ist das bekannteste Wahrzeichen Berlins? Der Fernsehturm? Der Reichstag? Oder das Brandenburger Tor? Aus der Ferne mag dies zutreffen, doch wer einmal das Menschengewimmel der Hauptstadt aus der Nähe betrachtet hat, erkennt zwangsläufig noch etwas anderes im Stadtbild, das für Berlin symptomatisch ist: Der Jutebeutel. Dieser ist nicht nur vor allem bei jüngeren Berlinern nach wie vor sehr beliebt; dank seinen unzähligen Beschriftungsmöglichkeiten verkörpert er auch für seine Träger Statement und Lebensgefühl in einem. „Music was my first love“ oder „Du hast Angst vorm Hermannplatz“ sind hierfür äußerst treffende Beispiele. Echt stark. Wer lieber auf Understatement setzt, trägt stattdessen einen formschönen Sparkassenbeutel oder einen mit dem Schriftzug der HanseMerkur-Versicherung. Weil: Ironie kommt immer gut.
Es geht aber noch krasser, noch hipper, noch ironischer. Wie, das zeigt Klaus Lemkes neuester Spielfilmwurf „Kein großes Ding„, der beim achtung berlin seine Premiere erlebt. Lemke hat seinen Protagonisten Mahmoud mit einem kaputten Lidl-Plastikbeutel ausgestattet, den dieser sorgsam mit Gaffer Tape repariert hat. Das ist nicht nur ironisch, sondern auch noch extrem umweltbewusst und konsumkritisch. Wow, welch ein Anti-Understatement. Mahmoud kommt gerade aus dem Gefängnis, wo er zwei Jahre wegen Filmpiraterie gesessen hat. Zufällig trifft er auf den Exgrower und Teilzeitstripper Henning, der Mahmouds Talent für James Brown-Imitationen sofort erkennt und den Ex-Knacki groß rausbringen will. Wer übrigens nicht weiß, was ein Exgrower ist: Das ist ein Mensch, der vormals seinen Lebensunterhalt mit dem illegalen Anbau von Marihuana bestritten hat. Außerdem gibt es da noch eine hübsche Berliner Göre namens Tini, die sich total in Mahmoud verschossen hat und ihm damit maximal auf die Nerven geht.
Dass diese haarsträubende Geschichte wenig bis gar keinen Sinn ergibt, ist aber überhaupt kein Problem. Das muss nämlich so. Dit is Berlin. Lakonisch, aber wahr. Sinnhaftigkeit wird sowieso überbewertet. Lemke schert sich daher auch nicht groß um den Plot seiner augenzwinkernden Milieustudie. Dafür spürt man als Zuschauer umso mehr, wie sehr ihm trotz aller Stereotypisierung seine Figuren am Herzen liegen. Das Paradebeispiel dafür ist und bleibt Mahmoud.