Berlinale Filmkritik: „Aloft“ von Claudia Llosa


Aloft eine Geschichte über Verantwortung und radikale Neuanfänge. Foto: José Haro

„Aloft“ erzählt eine Geschichte über Verantwortung und radikale Neuanfänge. Foto: José Haro

Esoterischer Hokuspokus

Oben im Norden regieren Schnee, Eis und beißende Winde, die über gefrorene Wasserstraßen und eine unendliche Schneewüste pfeiffen. Auf den ersten Blick ist die Landschaft trotz ihrer Eleganz menschenfeindlich. Doch auch hier am Rande des Nirgendwo werden Kinder und Tiere geboren und großgezogen, wie die darauffolgende Szene klarstellt. Als eine Sau Probleme hat, ihre Ferkel zur Welt zu bringen, muss Nana ihr helfen und die Ferkel holen. Symbolträchtig aufgeladen wirken bereits die ersten Bilder und werfen ihre Schlagschatten voraus.

Die alleinerziehende Mutter Nana lebt mit ihren beiden Söhnen Ivan und Gully im Haus ihres Vaters. Während ihr Vater tagsüber die Kinder versorgt, arbeitet sie in einer Schweinemastanlage. Die Stimmung zwischen Tochter und Vater ist eher frostig und auch in der Rolle der fürsorglichen Mutter hat Nana ein weniger glückliches Händchen, zumindest wenn es um ihren ältesten Sohn Ivan geht. Seit ihr jüngster Sohn, Gully, unheilbar erkrankt ist, muss Ivan – beeindruckend gespielt vom 10-jährigen Zen McGrath – in allem zurückstecken. Dass sie zu keiner Zeit daran zweifelt, dass ihr Ältester sich wie selbstverständlich zurückzunehmen hat, aus Rücksicht auf den Kleinsten, zeigt, wie stark sie die Angst um Gullys drohenden Tod absorbiert hat. Wütend und frustriert erträgt Ivan die familäre Situation und flüchtet sich in die Falkenzucht. Als seine Mutter aber schließlich Heilerfähigkeiten entdeckt, muss Ivan feststellen, dass seine Mutter nun auch noch Fremden ihre gemeinsame Zeit opfert. Es kommt zur Katastrophe.

Was zunächst nach psychologischem Familiendrama oder klassischem Schuld- und Sühnestück klingt, entpuppt sich mehr und mehr zur esoterischen Studie über spirituelle Heilsversprechen und Mutter Naturs Vollkommenheit. Anders als beispielsweise Terrence Malicks religiöse „Mother Nature-Epen“ wirkt Llosas Erzählung jedoch geflickt, konstruiert und verloren. Die Regisseurin und Drehbuchautorin – selbst mit dem Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa verwandt – verstrickt sich in ihren allzu rau zusammengeschriebenen Handlungssträngen um ihre drei zentralen Figuren, die sie von vornherein einem höheren (in diesem Fall sehr missionarischen) Zweck zuführen will: „Heilung bringt Wärme auch an den kältesten Ort der Welt.“ Die Message verliert sich allerdings in einem Mutter-Sohn-Konflikt, einer spannungslosen (weil nicht nachvollziehbaren) Liebsgeschichte und atmosphärisch orakelnden Naturaufnahmen mit Allmachtsanspruch. Am Ende hallen zunächst noch für einige Minuten einige atemberaubend fotografierte Naturpanoramen nach. Doch während man allmählich den Saal verlässt, zerfällt der Film in seine Fragmente.

Claudia Llosa beansprucht für ihren Film „Aloft“ (dt.: oben, in der Höhe) einen aristotelischen Ansatz, wie sie sagt. Er selbst sei der Meinung gewesen, dass die Menschen, die Schmerz spüren, gegen ihre Natur handeln. Abgesehen von dieser etwas verkürzten Interpretation aristotelischer Schmerz- und Gefühlsphilosophie verrührt sie ihre verschraubte und oberflächlich durchdachte Idee davon dann allerdings noch mit hohl angedeuteter religiöser Tragweite. Verständlich, dass am Ende davon lediglich ein esoterischer Hokuspokus übrig bleibt.

SuT

Aloft„, Regie: Claudia Llosa, Darsteller: Jennifer Connelly, Cillian Murphy, Mélanie Laurent, Oona Chaplin, William Shimell, Zen McGrath