„Am Sonntag bist du tot“ („Calvary“) von John Michael McDonagh


Verfehlungen der katholischen Kirche auf schmerzhafte Weise persönlich ausbadenFoto: Berlinale

Ein Priester muss die Verfehlungen der katholischen Kirche auf schmerzhafte Weise persönlich ausbaden. Foto: Berlinale

Kreuzigung auf Irisch

Die katholische Kirche ist längst zum Running Gag verkommen. Finanzskandale, obskure Gruppierungen (Stichwort Piusbruderschaft) und vor allem zahlreiche vertuschte Fälle von Kindesmissbrauch haben die uralte moralische Instanz erschüttert. Selbstherrliche Bischöfe machen Schlagzeilen, Zeitungen steigern Auflagen und die Menschen erfreuen sich an der Empörung über Die-da-oben. Der Glaubwürdigkeitsverlust der katholischen Kirche scheint im aufgeklärten Europa ein abstraktes Faktum geworden zu sein – ärgerlich, lustig, letztendlich belanglos. Mit „Calvary“ ruft uns John Michael McDonagh („The Guard„) ins Gedächtnis, dass dieser moralische Niedergang sehr wohl praktische Folgen hat. Nicht nur auf dem irischen Land hält der Pfarrer die Gemeinde zusammen, ist Seelsorger, Alleinunterhalter, Berater – in geistlichen und weltlichen Fragen. Eine Rolle, die ohne moralische Legitimation nicht auszufüllen ist – und deren Vakanz Auswirkungen auf den Pfarrer selbst als auch auf die Gemeinde hat.

Zur Verdeutlichung dieser Problematik nutzt McDonagh vordergründig den Vorschlaghammer. Pfarrer James Lavelle (Brendan Gleeson) empfängt zu Beginn von „Calvary“ eine ungewöhnliche Beichte: Sein Schäfchen ist als Kind brutal von einem Pfarrer missbraucht worden. Und da dieser leider verstorben sei, muss die blutige Rache eben am aktuellen Pfarrer geübt werden. Der unschuldige Lavelle bekommt jedoch eine Galgenfrist von einer Woche. In dieser Zeit wird klar: Auch hintergründig ist die Welt in der irischen Kleinstadt längst aus dem Gleichgewicht geraten. Die schrägen Bewohner – vom koksenden Chirurgen, über die gewissenlose Dorfmatratze bis zum selbstverliebten Ex-Banker – lassen jeglichen Respekt vermissen. Der grenzenlose Zynismus der Kleinstädter tritt mal im humorvollen, mal im wirklich schmerzhaften Gewand zu Tage. Doch wenn ein Familienvater seine Tochter vor dem gemeinsamen Spaziergang mit dem Pfarrer „rettet“, wenn brennende Zigaretten im Streitgespräch nach dem Geistlichen geworfen werden, wenn die Provokation des friedvollen Priesters zum Volkssport wird, dann wird klar: Lavelle muss die Verfehlungen der katholischen Kirche auf schmerzhafte Weise persönlich ausbaden.

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