„Für Marx“ von Svetlana Baskova


"Für Marx": Der Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeiterschicht. Foto: Berlinale

"Für Marx": Der Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeiterschicht. Foto: Berlinale

Klassenkampf reloaded

130 Jahre sind seit dem Tod von Karl Marx vergangen. Vor 95 Jahren wurde au russischem Gebiet der erste Staat gegründet, der zumindest vorgab auf den Lehren des Universalgelehrten zu basieren. Ein Staat, dessen Zusammenbruch sich im Dezember des vergangenen Jahres bereits zum 21. Mal jährte.  Die Geschichte des Kommunismus ist eine Geschichte der Desillusion und des Scheiterns. Und doch:Das Thema von Marx, der Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeiterschicht, hat nie an Aktualität verloren. Im Gegenteil. Im Raubtierkapitalismus des heutigen Russland erscheint seine Lehre moderner denn je. Dies spiegelt der Film „Für Marx“ (Za Marksa) der russische Regisseurin Svetlana Baskova eindrücklich wider.
Die Arbeiter einer Fabrik in der russischen Provinz sind es leid: Die Arbeitsbedingungen sind eine Katastrophe, der Lohn wird, angeblich auf Grund der Wirtschaftskrise, nur unregelmäßig ausbezahlt und jetzt sollen auch noch Stellen gekürzt werden. Da der aktuelle Gewerkschaftsführer nicht mehr als eine Marionette der Chefetage ist, müssen sich die Arbeiter selbst organisieren. Sie gründen eine unabhängige Gewerkschaft und schon befinden sie sich – buchstäblich – im marxschen Klassenkampf. Denn die Taktik der Firmenleitung ist so altbacken wie perfide. Sind die Köpfe der neuen Arbeitervertretung erst eliminiert, verläuft die Revolte schnell im Sande.

Ein bewegendes Thema, dessen filmische Aufarbeitung Mut und Detailgenauigkeit erfordert. Gerade letzteres kann Svetlana Baskova nicht abgesprochen werden. Als Milieustudie funktioniert „Für Marx“ außerordentlich gut. Vor den beeindruckenden Kulissen der heruntergekommenen Megafabrik fängt die Regisseurin die zerknautschen Gesichter  der Arbeiter und ihren Alltag zwischen Sorgen und Kameradschaft ein. Eindrücke, die zugleich herzerwärmend und bedrückend sind.  Inhaltlich ist „Für Marx“ leider weniger stimmig. Natürlich, Baskovas Ansatz die russischen Fabrikarbeiter einmal nicht als hoffnungslose Trunkenbolde zu zeichnen (ein Stereotyp, der gerade im russischen Kino selbst oft arg überstrapaziert wurde), sondern als denkende und durchaus auch belesene Individuen, ist aller Ehren wert. Doch weniger wäre hier mehr gewesen. Auch ohne die endlosen Diskussionen hätte der Zuschauer die Botschaft verstanden und dass die Arbeiter dann noch in eine Abhandlung über Filmtheorie abgleiten, ist unnötig.

Hinzu kommt, dass die kapitalismuskritische Aussage von „Für Marx“ an der enormen Boshaftigkeit des Firmenchefs scheitert. Egal ob im Kapitalismus, Kommunismus oder im frühen tibetischen Buddhastaat, wer mit dem Teufel auf Koks in Konflikt gerät, steht in jedem gesellschaftlichen System auf der Verliererseite. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass es solche Exemplare tatsächlich in die russischen Chefetagen geschafft haben, doch trotzdem: Wenn Baskova nicht die Schlechtigkeit einiger Menschen, sondern ein System kritisieren will, dann wäre ein etwas menschlicherer Firmenchef durchaus dienlich gewesen.

Gelungen ist die Darstellung des inneren Konflikts, dem ein Mensch ausgesetzt ist, der sich gegen eine skrupellose Obrigkeit auflehnt. Die Beerdigungsszene, in der die Angehörigen ihrer ermordeten Kollegen den verbleibenden Gewerkschaftsführern mit blankem Hass begegnen, erzeugt Gänsehaut. Es bleibt mutig und wichtig, dass Svetlana Baskova reelle Missstände anprangert. „Für Marx“ geht empathisch mit seinen Helden um, ist jedoch weder Kapitalismuskritik noch spannender Thriller.

Peter Correll

Für Marx Regie: Svetlana Baskova; Darsteller: Sergey Pakhomov, Vladimir Epifantsev; Kinostart: 9. Januar 2014