„Der Papst ist kein Jeansboy“ von Sobo Swobodnik


Hermes Phettenberg: "Ich esse, ich esse Kompott, Kompott, Kompott."

Hermes Phettberg: „Ich esse, ich esse Kompott, Kompott, Kompott.“

Agent Provocateur

Der Exzess ist nicht lebbar. Das Gesamtkunstprojekt Hermes Phettberg, bekennender schwuler Masochist und Künstler, ist das leibhaftige Beispiel dieser Erkenntnis. Phettberg, der mit seinen obszönen Äußerungen und seinem Erscheinungsbild in den 80ern und 90ern als Enfant Terrible und Agent Provocateur der österreichischen Kunstszene galt, brachte einst 170 Kilo auf die Waage. 2007 erlitt er drei Schlaganfälle, darunter einen Hirnschlag. Heute lebt er, nunmehr 73 Kilo schwer, zurückgezogen in seiner vollgemüllten Wohnung in Mariahilf. Der Regisseur Sobo Swobodnik hat ihn dort besucht – das Ergebnis, „Der Papst ist kein Jeansboy“ (DE/AUT 2011), ist eine ungewöhnliche Dokumentation über einen, der versucht hat, sich die Welt in Gänze einzuverleiben und die zu Recht mit dem Dokumentarfilmpreis beim Max-Ophüls-Festival ausgezeichnet wurde.

In nüchternem Schwarz-Weiß sehen wir Phettberg mit gebeugtem Rücken durch die Wohnung schlurfen, jeder Schritt ist ein Kampf und jeder Satz ist mühevoll. Nur die Augen sind wach, wacher, als bei den meisten so genannten Normalos, die draußen die Gehsteige bestürmen. „Ich esse, ich esse Kompott, Kompott, Kompott.“ Der sprechende Phettberg im Film ist nach wie vor obsessiv mit dem Essen beschäftigt, er kaut ein Hörnchen, er isst das „Essen auf Rädern“, sabbert und tropft. Es ist Swobodniks großes Verdienst, dass er Phettbergs Alltag so ungeschönt zeigt  und damit einen Menschen, der die Gesellschaft immer als unangenehm empfand und heute auf sie angewiesen ist – und ihn dabei trotzdem nicht der Lächerlichkeit preisgibt. Denn dieser Alltag gehört zu Phettberg, der immer eine öffentliche Person sein wollte, der nichts so sehr zur Schau und bloß stellte wie sich selbst und seine Schwächen: „Hermes Phettberg, Elender“, betitelte Kurt Palm seinen Film aus dem Jahr 2007 dazu passend.

Wir sehen Phettberg beim Einkauf, im Krankenhaus und mit Freunden, die von „ihrem“ Hermes, ihrer Einschätzung Phettbergs berichten. Diese intimen Momente werden durchbrochen von kapitelähnlichen Stills, die Klosprüche zeigen, wie sie wohl einst Phettberg selbst schrieb oder auf sie reagierte: „Wer will mich benutzen? Bin jeden Dienstag, 16 Uhr, hier.“ Diese fortwährenden Wiederholungen und Codes der Wiener S&M- und Schwulenszene sind so ostentativ wie wichtig: Phettbergs Sexualität war ein Teil seiner Performance, so anrüchig, schmutzig und verdreckt die Sätze auch plötzlich auf der Leinwand erscheinen mögen. So war Phettberg in den 1980ern Mitbegründer des Vereins „Sadomasochismusinitiative Wien“ und des Projektes „Polymorph Perverse Klinik Wien“. Er setzte sich in diesem Zusammenhang auch für die Gründung eines Vereins zur Schaffung einer Hochschule für Pornographie und Prostitution ein. Kunstaktionen wie die „sadomasochistische Verfügungspermanenz“ (Phettberg lag nackt und angekettet auf dem Museumsboden, die Besucher konnten mit ihm machen, was sie wollten) waren Versuche der Selbstdarstellung und Experimente der gesellschaftlichen Grenzüberschreitung zugleich. Phettbergs Lebensthema blieb dabei immer der Jeansboy, als wortwörtlich zu nehmendes Sinnbild einer nie erreichbaren und vergänglichen, erotischen Fantasie, die er als ehemaliger Pastoralassistent und Kanzlist gern im Zusammenhang mit der katholischen Kirche und ihren Würdenträgern diskutierte.

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