„Die Entlarvung“ von Nicolae Margineanu
Alltagsbestialitäten
Folter – ein Wort das zwar Ablehnung hervorruft, aber dank wiederkehrender Zeitungsmeldungen zu den medialen Ballaststoffen gerechnet werden kann, die sich der normale Verbraucher Tag für Tag verabreicht. Zu der allgemeinen Gewöhnung an Schreckensbilder gesellen sich hier und da ein gewisser Unglaube. Einige (Nach)betrachter der GUS-Geschichte können oder wollen nicht akzeptieren, dass Folter nach Ende des Zweiten Weltkrieges weiterhin und bis zum bitteren Ende ein Mittel der politischen Repression war. Unser Rechtsgefühl sagt: Auf keinen Fall dürfen wir Menschen auf Grund ihrer Überzeugung oder ihres Glaubens quälen. Würde man anders reagieren, wenn man sich vorstellt, dass die Staatsgewalt Folter zum Schutz der Menschen und nicht zu deren Unterdrückung einsetzt? Jedenfalls das „Pitesti-Experiment“ des rumänischen Geheimdienstes „Securitate“, dass physische und psychische Gewalt mit dem Zweck angewendet hat, die Persönlichkeit der Gefangenen zu vernichten, ist ein besonders abstoßender und kaum bekannter Folterreigen aus der Zeit der Zweiteilung der Welt. Etwa 1000 Menschen fielen dem Foltersystem des „Phänomens von Pitesti“ zum Opfer, 50 kamen dabei um. Von den Opfern wurden Angaben über ihre Vergangenheit erpresst und sie wurden dazu gezwungen sich an der Gewalt zu beteiligen, sich also soweit zu kompromittieren, Mithäftlinge selbst zu foltern: Schläge ins Gesicht und auf die Körperorgane, hunderte Liegestütze und anschließendes Ausharren in unbequemen Körperstellungen.
Der Titel von Nicolae Margineanu und Alin Muresans Film „Demascarea – Die Entlarvung“ könnte nicht treffender sein. Politische Bewegungen, deren Ziele sich nicht (mehr) in sozialen Veränderungen, welcher Art auch immer, sondern vor allem in wahnhaften Visionen ausdrücken, sehen im Tod oder der systematischen Herabsetzung ihrer Gegner eine erfolgreiche Ausführung ihrer Vision. So ist es nur folgerichtig, dass das Gerüst des Dokumentarfilmss aus den Berichten von acht Überlebenden des Foltersystems besteht. Sie schildern die Qualen, denen sie etappenweise ausgesetzt waren, ihre seelischen Zustände und stellen allgemeine Überlegungen über den Zweck und die Folgen der Vorgänge an. Verbittert könnte man es so zusammenraffen: Der Leviathan frisst Menschen und scheidet Gesetze sowie die Mittel ihrer Durchsetzung aus. Die Lektüre der staatlichen Gesetzestexte und/oder das Einschreiten von Polizei und Justiz informiert die Konkurrenzsubjekte über die jeweils aktuelle Nomenklatur unerwünschter, d. h. sanktionsfähiger Handlungen. Diese haben dann den Kraftakt der positiven Praktizierung des negativ Formulierten zu vollbringen, indem sie unter Vermeidung des Verbotenen dennoch Systemvorteile entdecken. Indem sie danach streben, ihre kleinen oder großen Alltagsbestialitäten legal zu vollziehen, erlangen sie zumindest eine Statistenrolle in den staatlichen Realinszenierungen jener großen Balladen, die in der Weltliteratur der Völkerfamilie je nach Naturell und Mentalität der kollektiven Verfasser mal prosaisch „Chancengleichheit“ und auch mal gänzlich unabgehoben und nur der unmittelbaren Realität verpflichtet „Jedem das Seine“ heißen könnten. Es sind emotionale Zeitzeugenberichte: hart aber ohne Hass. Hoffen wir das der rumänische Philosoph Emil Cioran sich irrte, als er sagte: „Man kann gewiss sein, dass das 21. Jahrhundert, das weit fortgeschrittener sein wird als das unsere, in Hitler und Stalin harmlose Sängerknaben sehen wird.“
Joris J.