„Die Lebenden“ von Barbara Albert


"Die Lebenden": Auf der Suche nach dem Großvater. Foto: Around The World in 14 Films

"Die Lebenden": Auf der Suche nach dem Großvater. Foto: Around The World in 14 Films

Ein unerwartetes Schauspiel

„Ich wollte, dass jemand authentisch erzählt und gleichzeitig nicht so ganz greifbar ist, bei dem man nicht immer sicher sein kann, dass das alles stimmt, was er erzählt. Die Videobilder flimmern sehr stark und der Großvater selbst bekommt etwas Entfremdetes.“ Regisseurin Barbara Albert verbindet in ihrem neuen Film die  bewegte Vergangenheit Europas mit einem Rucksackurlaub. Ihre Protagonistin Sita (Anna Fischer) durchzieht den gesamten Kontinent auf der Spurensuche nach ihrem Großvater, der selbstredend während des zweiten Weltkrieges kein Widerstandskämpfer war. Dabei legen sowohl Schauspielerin als auch Regisseurin eine fast neurotische Entschlossenheit an den Tag, alle möglichen Blickwinkel auf vergangene Ereignisse, aufbereitet für ein junges Publikum, zur Verfügung zu stellen. Hier bewährt sich der Mechanismus einer Öffentlichkeit, die voneinander isoliert, was im Innersten einander bedingt. Es kann gar nicht genug diskutiert und dokumentiert werden, aber alles zu seiner Sendezeit und in seinem Format – entweder Definition und Postulat der moralischen Maßstäbe von heute. Oder Entrüstung und Faszination angesichts der Verbrechen von damals.

Dennoch ist „Die Lebenden“ ein nicht gänzlich unsehenswerter Film, schließlich stapft man fröhlich durch den Mist bedeutungsschwerer Metaphern. Alle Wege führen nach Rumänien, wo Sitas Familie zu der deutschsprachigen Minderheit gehörte und führt den Zuschauer (wieder einmal) nach Auschwitz. Zeitgleich beginnt sie eine Affäre mit einem jüdischen Fotografen, der palästinensische Flüchtlinge portraitiert. Melodramatische Musik verdeutlicht endgültig, dass hier Kitsch niederprasselt. In Zeiten, in denen man Adolfileinchen tagtäglich im Fernsehen zu Gesicht bekommt, in Zeiten wie diesen braucht die Welt nicht unbedingt ein weiteres Kriegsschuld-Drama. Der Schlussstrich, wie er nun endlich doch gezogen werden soll, kann nur aus Definitionen bestehen, und deshalb bemüht man sich allerorten eine Schnittmenge zu ermitteln, um nur in keinem Fall vom Ganzen zu sprechen, das eben hätte Bestimmung statt Definition zur Voraussetzung. Die Segmentierung des Bewusstseins, die solchermaßen kultiviert wird, drängt am Ende nur umso besinnungsloser dazu, alles mit allem zu identifizieren, und so steht nichts mehr im Weg Castingshows und die Waffen-SS, den Israel/Palästina-Konflikt mit dem Russlandfeldzug, mich selbst mit Opa zu vergleichen.

In einem Interview verallgemeinert Barbara Albert das große Ganze dann zu: „Es ist immer etwas Vergangenes und immer mitten unter uns. Alles Vergangene lebt durch uns Menschen weiter, alle Dinge, die passiert sind, haben ihre Auswirkungen. Wie auch meine anderen Filme, ist ´Die Lebenden´ ein Film über Vergänglichkeit, Endlichkeit, das Vergehen der Zeit, über den Tod. Unser aller Grundthema, umso mehr, je älter wir werden.“ Ergänzen könnte man das Ganze mit einem Zitat von Jean-Paul Sartre: „Wir [müssen] ein unerwartetes Schauspiel über uns ergehen lassen: das Striptease unseres Humanismus. Da steht er also ganz nackt da, kein schöner Anblick. Er war nur eine verlogene Ideologie, die ausgeklügelte Rechtfertigung der Plünderung.“ Es bleibt bei einem Schauspiel, weil dieser Begriff von Plünderung nur etwas wie eine leere Gewiss­heit vermittelt.

Text: Joris J.

Die Lebenden Regie/Drehbuch: Barbara Albert, Darsteller: August Zirner, Winfried Glatzeder, Itay Tiran, Daniela Sea, Anna Fischer, Hans Schuschnig, Kinostart: 30. Mai 2013