„Die Mitte der Welt“ von Jakob M. Erwa



Phils Homosexualität wird dabei zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt oder problematisiert. Keine Versteckspiele, keine Geheimniskrämereien, kein stiefmütterlicher Umgang mit dem Thema. Phils sexuelle Orientierung ist bei Familie und Freunden anerkannter Status Quo und wird dem Zuschauer auch gleich in den ersten Szenen so präsentiert. Eine Herangehensweise, die – mit etwas Glück – wegweisend sein könnte.

Und auch visuell haben Regisseur Jakob M. Erwa und Kameramann The Chau Ngo sich zu einigen unüblichen Spielereien hinreißen lassen, die dem Film gut tun. Im Voice-Over streut Phil kurze Monologe, bebildert von Fotos und Postkarten; es gibt Rückblenden in eine idyllische Kindheit und schmerzlich authentische Darstellungen einer Jugend in Zeiten von Instagram und Whatsapp-Sprachnachrichten.
Bei all den Innovationen und Wagnissen, ist es umso bedauerlicher, dass „Die Mitte der Welt“ die Entwicklung seiner Figuren vernachlässigt. Als Zuschauer vermisst man die dynamischen Charaktere, die der Stoff verdient hätte. Die fehlenden Motivationen und zu seicht ausgetragenen Konflikte fallen zum Ende hin immer wieder auf. Besonders frustrierend ist das für Zuschauer, die Hauptdarsteller Louis Hofmann bereits aus Filmen wie „Freistatt“ und „Unter dem Sand“ kennen und wissen, zu welchen Glanzleistungen der 19-jährige Schauspieler im Stande ist.

Die entscheidende Frage des Films wird in einer Rückblende gestellt. „Wo ist die Mitte der Welt?“, will Phil als Kind von seiner Mutter wissen. Eine wirkliche Antwort kann sie ihm nicht liefern. Dafür gibt die englische Übersetzung des Romans einen Hinweis. Aus dem Titel „Die Mitte der Welt“ wurde da „Center of My World„. Treffend, denn genau darum scheint es zu gehen: die subjektiven Lebensentscheidungen, die jeder für sich trifft und die Frage danach, nach wem oder was wir bereit sind, uns zu richten.

Emily Grunert

Die Mitte der Welt„, Regie: Jakob M. Erwa, DarstellerInnen: Louis Hofmann, Sabine Timoteo, Svenja Jung, Ada Philine Stappenbeck, Jannik Schümann, Inka Friedrich, Nina Proll, Sascha Alexander Gersak, Kinostart: 10. November 2016

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