„Feuchtgebiete“ von David Wnendt



Auch Helens Eltern (Meret Becker und Axel Milberg), ihren Bruder Toni und ihre beste Freundin Corinna hat Wnendt mit charakterlichem Mehrwert ausgestattet, was der gesamten Story wiederum zu mehr Komplexität verhilft – während die Helen in der Buchfassung die meiste Zeit weitestgehend autonom im Strom ihrer Körperabsonderungen vor sich hin dümpelte. Außerdem war Wnendt im Gegensatz zu Roche so clever, den Grund für Helens Familientrauma passenderweise ans Ende setzen. Die platzt im Buch nämlich schon nach einem Drittel damit raus.

Während der Regisseur definitiv mehr Fingerspitzengefühl bei der Entwicklung der Charaktere und dem Aufbau einer Klimax beweist, gilt es für ihn an anderer Stelle, seiner sekretschleudernden Hauptfigur hier und da ein paar inszenatorische Mullpfropfen in die Löcher zu stopfen. Die eingangs animierte, fast schon psychedelisch anmutende Comic-Achterbahnfahrt über den Bakterienrasen eines Toilettensitzes soll wahrscheinlich beruhigend vermitteln: „Keine Sorge Leute, so schlimm wird’s nicht!“ Es soll sich ja niemand im Kino übergeben müssen. Wnendts Hang zur Verniedlichung hat also System: Bonbonfarben, schnelle Schnitte und eine kulleräugige Hauptdarstellerin gebieten der Schleim-Odyssee Einhalt. Unterlegt mit den sprachlich unterirdischen Original-Zitaten aus Roches Roman mutet das leider nicht nur niedlich an, sondern zuweilen auch ziemlich unterbelichtet.

Schmerzhaft: Erste Begegnung zwischen Helen und Prof. Notz. Foto: Peter Hartwig / Majestic)

Indem Wnendt also überschwappende Vaginalsekrete, Menstruationsblut und feuchte Fürze mit Helens motivisch wiederkehrendem pinken Kinderschlüpfer kunstvoll abfängt, macht er Platz für jenes Familiendrama, das in der Buchfassung irgendwo im Unterhosenbodensatz der Hauptfigur verlorengegangen ist. Mit der Verfilmung von „Feuchtgebiete“ befinden wir uns daher nicht länger an der Rosette des schlechten Storytellings, sondern zumindest auf einem Niveau, das einen Blick auf zwischenmenschliche Problemstellungen jenseits der analen Phase erlaubt. Charlotte Roche hat übrigens selbst gesagt, dass sie den Film besser findet als ihr eigenes Buch. Einsicht ist der erste Weg zur Besserung.

Alina Impe

Feuchtgebiete Regie: David Wnendt, Drehbuch: David Wnendt, Claus Falkenberg, Charlotte Roche, Darsteller: Carla Juri, Meret Becker, Edgar Selge, Harry Baer, Axel Milberg, Kinostart: 22. August 2013

Hier unser Interview mit Regisseur David Wnendt zum Film.

1 2