„Footnote“ von Joseph Cedar


"Footnote": Unterschiedliche Welten im Wissenschaftsbetrieb.

"Footnote": Welches Maß fordert die Wissenschaft?

Machtspiele im Wissenschaftsbetrieb

Ein Kinofilm über die Rivalität zweier Talmud-Gelehrter? Kann das unterhaltsam sein? Und wie! Joseph Cedar ist mit seinem neuen Film eine großartige, satirische Komödie gelungen, die aktuell und absolut sehenswert ist. So entführt der Film den Zuschauer in die Welt der Philologie, genauer der Talmud-Studien. Obwohl die Gruppe der Talmud-Experten überschaubar ist, bleiben Intrigen nicht aus. Und so werden wir Zeuge der Machtspiele innerhalb des Wissenschaftsbetriebs. Das Objekt der Begierde ist der Israel-Preis, mit dem jedes Jahr herausragende wissenschaftliche Leistungen ausgezeichnet werden. Das pikante an der Sache: Vater und Sohn sind die beiden Anwärter.  Gleich zu Beginn des Films wohnt man einer Preisverleihung bei. Gute fünf Minuten ist die Kamera auf Prof. Eliezer Shkolnik (Shlomo Bar Aba) gerichtet, während er angespannt und voller unterdrückter Wut der Dankesrede lauscht, die sein Sohn Prof.  Uriel Shkolnik (Lior Ashkenazi), anlässlich seiner eigenen Aufnahme in den Wissenschaftsrat hält. Allein schon in dieser Szene steckt das ganze Ausmaß des Dramas. Vater und Sohn stehen für zwei Wissenschaftsverständnisse, die unterschiedlicher nicht sein können. Dem Vater geht es um Grundlagenforschung, um Details, um Genauigkeit – und keiner interessiert sich dafür. Der Sohn, ganz im Sinne der modernen Zeit, nimmt die Methodik nicht immer ganz so genau. Ihn interessiert eher der große Wurf, das Mash-Up – und er hat Erfolg damit.

Die beiden Schauspieler Shlomo Bar Aba und Lior Ashkenazi sind in Israel sehr bekannt. In „Footnote“ spielen sie für sie unübliche Rollen. Aba verkörpert großartig den autistisch wirkenden, verkannten Gelehrten, während Ashkenazi überzeugend den konfliktscheuen Star-Gelehrten darstellt. Footnote ist mehrschichtig – wie der Talmud, der von jeder Generation neu interpretiert wird und so immer lebendig bleibt. So geht es in dem Film einerseits um einen klassischen Vater-Sohn-Konflikt, gleichzeitig aber auch um die Frage, wie weit man geht, um Anerkennung und Liebe zu bekommen. Woher nimmt man den Mut, sich treu zu bleiben und wie positioniert man sich in der sich wandelnden Welt? Das alle ist geschickt und humorvoll verpackt zu einer spannenden Geschichte, die manchmal wie ein Thriller daherkommt. Filmisch bedient sich Joseph Cedar an Elementen aus Krimis, Musikvideos und Werbespot. Das macht den Film visuell spannend. Erwähnenswert ist auch die Filmmusik: Amit Poznansky interpretierte Stücke von Alfred Schnittke und verleiht dem Film einen unverwechselbaren dramatischen Sound, der vor allem die unausgesprochenen und unterschwelligen Gefühle der Charaktere hervorhebt.

Über den bisherigen Erfolg des Films freut sich Joseph Cedar sehr. „Mir ist bewusst, dass Talmud-Studien kein Mainstream Thema sind“, sagt er dem Publikum im Anschluß an die Vorführung beim Jüdischen Filmfestival in Berlin. „Die Berlinale letztes Jahr zum Beispiel hat die Rohfassung des Films abgelehnt“, berichtet Cedar. „Da dachte ich schon, das wird nichts. Aber dann hat uns das Cannes Filmfestival eingeladen. Und wir haben sogar eine Auszeichnung bekommen (für das beste Drehbuch, Anmerkung der Autorin)“.  In der Zwischenzeit war der Film auch für einen Oscar für besten ausländischen Film nominiert. „Footnote“ ist Joseph Cedars vierter Spielfilm. Mit „Beaufort“ hatte er 2007 auf der Berlinale seinen großen internationalen Durchbruch. An welchem Stoff er derzeit genau arbeitet, wollte Cedar dem Publikum des Jüdischen Filmfestes nicht verraten. Aber er ist „an was dran“, versicherte er. Wir dürfen gespannt sein.

Judith Orland