„For Ellen“ von So Yong Kim
Rock’n’Roll – Untervater
Der große Durchbruch als Rockstar inklusive hochdotiertem Plattenvertrag, bis zur Ohnmacht kreischenden Fans und ein Freifahrtsschein zur Hotelzimmerverwüstung bleibt für viele junge Musiker leider nur eine Illusion. Während manche irgendwann den Absprung schaffen und sich dann doch noch für die Bankkaufmannslehre entscheiden, wollen andere selbst noch jenseits der 40 der nächste Jimmy Page oder Gene Simmons werden. Joby Taylor, der Protagonist aus So Yong Kims Drama „For Ellen„, befindet sich an so einem Scheideweg. An einem passenden Erscheinungsbild mangelt es ihm zumindest nicht, wie schwarzlackierte Fingernägel, Lederjacke und Skinny Jeans beweisen. Nach Jahren des ausbleibenden Erfolges muss Joby nun aber eine Pause einlegen, denn seine Exfrau will, dass er endlich die Scheidungspapiere unterzeichnet. Da geht Joby plötzlich auf, dass er eine sechsjährige Tochter namens Ellen hat und sich nun regelmäßigen Kontakt zu ihr wünscht.
Die von Paul Dano verkörperte Figur entspricht mit absoluter Präzision dem Bild eines gescheiterten Musikers. Introvertiert, einsilbig und mit einer ständigen Melancholie in den Augen fährt er durch diesen verschneiten Wohnort von Claire und Ellen, der karg und leer Jobys eigene Gefühlswelt reflektiert. Für das Scheidungsverfahren hat er sich vor Ort extra den Anwalt Butler genommen, der hinsichtlich der Durchsetzung des Sorgerechts zwar eine ziemliche Niete ist, ihm aber zumindest als einziger für sein Image Tribut zollt. Er scheint sogar ein bisschen verliebt zu sein, als er Joby in eine Bar begleitet und dort zusieht, wie der resignierte Rockstar in spe tranceartig neben der Jukebox zu Whitesnake’s Still of the Night hin- und her wankt. Bisher hat er sich geweigert, die Papiere zu unterzeichnen, denn dann würde er Ellen niemals sehen können.
Dass „For Ellen“ von einer unterbrochenen oder nicht vorhandenen Eltern-Kind-Beziehung handelt, ist kein Zufall. Für die Regisseurin So Yong Kim blieb der eigene Vater während der Kindheit auch nur ein Mythos, ein Umstand, der bereits in ihren vorherigen Spielfilmen In Between Days und Treeless Mountain tragendes Motiv war. Doch die hier ausgewählte Vaterfigur gibt nicht so schnell auf und so teilt Joby seiner Exfrau noch ein letztes Druckmittel via Handy mit. Der Gedanke kam ihm, als er sich kurz zuvor in die Bar-Toilette übergeben hat. Als er am nächsten Tag verkatert in seinem Hotelzimmer aufwacht, klingelt das Telefon. Es ist Ellen, sie können sich treffen.
Vielleicht kann man sich so eine Situation wie die Aufregung vorm ersten Date vorstellen, wenn auch bis an die Unerträglichkeit grenzend intensiver. Auf beiden Seiten gibt es hohe Erwartungen, auf beiden Seiten breitet sich die Angst vor Enttäuschung aus. Und so sieht man beiden auch die Unsicherheit und Verlegenheit an, als Joby und Ellen sich schließlich gegenübertreten. Die als Geschenk gedachte Puppe hat sie schon, das gekaufte Eis mag sie nicht und nach Reden ist ihr auch nicht zumute. Als Joby es nach zwei Stunden endlich geschafft hat, einen Draht zu seinem Kind aufzubauen, ist das Treffen schon wieder vorbei. Ihre Begegnung endet in Ellens Zimmer und es ist eine Verabschiedung, die ohne kitschigen Soundtrack oder dramatische Abschiedsbekundungen auskommt. Ein von Verzweiflung gekennzeichnetes, weinendes Vatergesicht sorgt beim Zuschauer ohne Weiteres für das Öffnen der Schleusen.
Aufgeschobene Begegnungen zwischen Eltern und Kindern haben immer einen ungewissen Ausgang. Wer kann schon sagen, ob die verpasste Zeit irgendwann wieder aufgeholt werden kann? Der dumpfe Schmerz beider kann nur durch Bekennen auf der einen und Vergeben auf der anderen Seite gelindert werden.
Alina Impe
„For Ellen“ Regie/Drehbuch: So Yong Kim, Darsteller: Jon Heder, Paul Dano, Jena Malone, Margarita Levieva, Shaylena Mandigo, Dakota Johnson, Kinostart: 3. Januar 2013