„Interruption“ von Yorgos Zois


Filmemacher Yorgos Zois feiert mit "Interruption" sein Spielfilmdebüt am Lido und stellt in Frage... Foto: La Biennale

Filmemacher Yorgos Zois feiert mit „Interruption“ sein Spielfilmdebüt am Lido und stellt in Frage… Foto: La Biennale

Störbild

Als im Oktober 2002 im Moskauer Dobrowka Theater im zweiten Akt des patriotischen Musicals „Nord Ost“ ein maskierter Mann die Bühne betritt und mit einer Kalaschnikow in die Luft schießt, sollen viele der über 800 Theaterbesucher zunächst nicht geglaubt haben, dass dieser Part nicht zum Stück gehört und sie in Wirklichkeit Opfer einer Geiselnahme wurden. Woran erkennt der Zuschauer, welche Handlungen in einem fiktionalen Raum dazugehören und welche nicht? Die Frage ist also, wo liegt die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit, insbesondere im Theater?

Filmemacher Yorgos Zois, der 2015 auf den Filmfestspielen in Venedig mit „Interruption“ sein Spielfilmdebüt feierte, nahm diesen Vorfall zum Anlass, um über das „passive Zuschauerverhalten von heute“, wie er sagt, zu reflektieren. Basis seiner Erzählung ist die Orestie, Aischylos‘ griechische Tragödie um Macht, Rache und Katharsis und das Verständnis von Recht und Rechtsprechung. In einem Glaskasten auf einer nur indirekt beleuchteten Bühne, die als solche nicht sofort erkennbar wird, beginnt das Stück. Die Kamera umkreist die Theaterschauspieler in zahlreichen Close-ups und erzählt vom Tod Agamemnons. Oreste soll eine Entscheidung treffen. Diese Entscheidung nutzt Zois im direkten wie übertragenen Sinn – sowohl für das Theaterpublikum im Film, wie auch den Filmzuschauer selbst – als Metapher auf den Zustand einer Gesellschaft, die nicht mehr hin-, sondern nur noch zusieht und unbewegt den Dingen ihren Lauf lässt, ohne einzugreifen, selbst wenn sie Zeugen eines Mordes werden.

Als die Kamera schließlich in einer Totalen den Blick auf einen Theatersaal freigibt, wird ein Mann sichtbar, der aus dem Publikum auf die Bühne steigt. Aus den Seitenaufgängen treten ebenfalls Männer und Frauen auf die Bühne, bewaffnet und in Grau gekleidet. Der Mann (Alexandros Vardaxoglou) – kantiges Gesicht, schwarzes Haar, glatter Seitenscheitel, in einer dunklen, uniformähnlichen Jacke mit stehendem Kragenansatz gekleidet – stellt die Neuankömmlinge als den Chor vor, der das Publikum nun durch den Abend begleitet. Die Zuschauer fordert er auf, mit auf die Bühne zu steigen, wenn sie Teil haben wollten. Sieben oder acht Personen, darunter ein Kind, folgen dem Aufruf. Niemand in den Sitzreihen ahnt, dass es sich um eine veritable Störung und Unterbrechung des Stücks handelt. Einzig im Hintergrund, im schwach beleuchteten Glaskasten auf der Bühne, sieht es aus, als mache sich leichte Unruhe breit. Ob das hier real oder Fiktion sei, fragt der offensichtliche Anführer der grau gekleideten Gruppe eine der dazugestoßenen Teilnehmerinnen aus dem Saal. Zögerlich antwortet sie ihm mit „Real“, obgleich sie sich unsicher zu sein scheint über die vermeintlich philosophische Frage.

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