„Hitchcock“ von Sacha Gervasi


Hitch, der Selbstvermarkter, der Zurschausteller eines ebenso markanten wie komischen Männerkörpers. Foto: Twentieth Century Fox

Hitch, der Selbstvermarkter, der Zurschausteller eines ebenso markanten wie komischen Männerkörpers. Foto: Twentieth Century Fox

Alma und sein größter Erfolg

Die Angst und nicht viel mehr als Angst begleitete den dicken Jungen Hitchcock durch seine katholische Außenseiter-Jugend. Zeit seines Lebens produziere er Bilder der Angst, Bilder der Schuld, der Rache und Sünde, Bilder des Begehrens und der indirekten Erfüllung. Näherte sich diesen immer wieder, um sich immer wieder von ihnen zu distanzieren. Er bot uns dabei Sicherheit uns mit allerlei Schattenseiten unseres sozialen und privaten Lebens zu arrangieren. Wir haben oft und gern ein wenig zur „dunklen Seite des Genies“ gesehen und sahen nur allzu gern die seelischen Defekte des Autors hinter den Bildern, anstelle unserer eigenen vor ihnen.

Regisseur Sacha Gervasi beleuchtet in seinem Streifen „Hitchcock“ nun die Beziehung von Hitch (Anthony Hopkins) zu seiner Ehefrau Alma Reville (Helen Mirren). Der Film setzt bei dem Ende der Dreharbeiten zu „North by Northwest“ ein, dass das Ende der goldenen Hitchcock-Ära von 1940 bis 1959 darstellt. Es war nicht unbedingt Hitchcock der Schauspieler wie James Stewart und Cary Grant zu Stars machte, aber er drehte sie in die Filmgeschichte. Besonders sein Gespür für weibliche Darstellerinnen und sein Faible für einen speziellen Typ Blondine verpassten seinen Streifen einen unverkennbaren Look. Doch das Format Wohlfühltotschlag hatte sich ausgereizt. Die Bücher Daphne Du Mauriers taugten nicht mehr als Drehbuchvorlage. Zu sehr hatte sich die Gesellschaft geändert. Zu schnell wich die unnahbare Hitchcockblondine der billigen Ian Fleming- Kopie. Zu gerne wollte der Zuschauer solche Frauen sterben sehen.

Kurz: Hitch steckt zu diesem Zeitpunkt in einer Krise. Zwar wird er wie stets von den Kritikern und dem Publikum in den Himmel gehoben – und hat trotzdem für keines seiner Werke jemals den Oscar erhalten, doch er weiß, dass er etwas ändern muss. Da liegt eines Tages ein Drehbuch mit dem selten dämlichen Namen „Psycho“ auf seinem Schreibtisch. Der Autor ist ein gewisser Robert Bloch. Bloch, Brieffreund von H.P. Lovecraft, ist ein Horrorschriftsteller, der seit einigen Jahren den Sprung ins Filmgeschäft schaffen will. Die Story beruht lose auf dem „Schaffen“ des Serienkillers Ed Gein. Über fast eine Stunde baut Bloch eine nicht ganz so ehrliche Bankangestellte als Protagonistin auf, nur um sie in einem Motel in der Mitte von Nirgendwo durch die Hand eines morbiden Muttersöhnchen sterben zu lassen.

Hitchcock ist nur mäßig begeistert. Seine Filme wählten als soziales Umfeld wenigstens die gehobene Mittelklasse, denn er liebte es, mit seiner Dramaturgie wohlhabende Menschen in Schwierigkeiten zu bringen. Seine Figuren schlugen sich alle mit nicht aufgearbeiteten Leiden oder wenigstens Gier herum, aber sie waren keine Totalausfälle. Seine weiblichen Darsteller überlebten seine Filme als Geläuterte, Erleuchtete oder als Glückpilze und starben nicht innerhalb der ersten Stunde.

Seine Frau Alma wittert Morgenluft und es ist herzallerliebst mit anzuschauen, wie die beiden angeregt über Hitchcocks Filme diskutieren. Schließlich willigt Alfred in die Produktion des Streifens ein. Unnötig zu erwähnen, dass mehr als ein Stein aus dem Weg geräumt werden muss, aber interessant ist es, dass Alma ihr diplomatisches Geschick dazu nutzt, ihrem Mann den administrativen Kleinkram vom Hals zu halten. Als Hitch einen Zusammenbruch erleidet, übernimmt Alma komplett die Produktion des Filmes. Der Rohschnitt des Streifens stößt sowohl bei Hitchcock als auch den Studiobossen auf totale Ablehnung. Die Ehe der beiden erreicht einen Tiefpunkt. Wie wir aber wissen, schafft es „Psycho“ dennoch in die Kinos und wird Hitchcocks erfolgreichster Film.

Hitch, der Selbstvermarkter, der Zurschausteller eines ebenso markanten wie komischen Männerkörpers, der wie geschaffen war für die Karikatur. Hitchcock war der einzige Regisseur, der selbst als Ikone fungierte – neben James Dean und Marilyn Monroe, die andere Seite des Nachkriegs-Körperbildes. Jener Star, der in seinen Filmen einen prägnanten Kurzauftritt hatte, den die Kenner seines Werkes bald als mehr als nur einen ikonographischen Running Gag, als eine geheime Botschaft, einen Kommentar zum eigenen Film zu deuten vermochten. Als eine Anwesenheit des Künstlers in seinem Werk. Aber auch einer, der sein Bild als „Markenzeichen“ auf den Markt der Träume warf, der Fernsehserien, Buch-Reihen und Magazine verkaufte. Er tritt in seinen Filmen auf, wie eine Signatur, und sagt zugleich: Das ist nur ein Film. Und: Das ist mein Film. Und schließlich: Es ist ein Film über das Sehen und das Gesehenwerden. Und über die Täuschung: Ich verdanke Alma meinen größten Erfolg.

Joris J.

Hitchcock Regie: Sacha Gervasi, Darsteller: Anthony Hopkins, Helen Mirren, Scarlett Johansson u.a., Kinostart: 14. März 2013