„Karen cries on the bus“ Gabriel Rojas Vera


"Karen cries on the bus": Wie viel Alleinsein hält man aus?, Foto: Film Movement

"Karen cries on the bus": Wie viel Alleinsein hält man aus? Foto: Film Movement

Nie mehr weinen

Karen (Ángela Carrizosa Aparicio) ist Mitte dreißig, hat weder einen Job noch enge Freunde und sitzt eines Tages im Bus und weint. Nach zehn Jahren Ehe hat sie beschlossen, sich von ihrem Mann zu trennen. Der Film„Karen cries on the bus“ setzt schnörkellos und direkt mit dem titelgebenden Bild ein. Auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben muss Karen lernen, wie man Geld verdient, Freunde gewinnt und sich neu verliebt. Eine Allerweltsgeschichte, die mit einer missglückten Besetzung oder dem falschen Drehort vermutlich nicht weiter erwähnenswert gewesen wäre. Dem kolumbianischen Regisseur Gabriel Rojas Vera gelingt es jedoch mit „Karen cries on the bus“ („Karen llora en un bus“) eine scheinbar schon oft erzählte Story so zu inszenieren, dass diese zu der individuellen Emanzipationsgeschichte einer Frau wird, in deren unmittelbarer Umgebung traditionelle Familienideale noch das Korsett sind, in dem viele ihr Leben lang gefangen bleiben.

Karens Weg aus der ländlich-bürgerlichen Gesellschaft Kolumbiens mitsamt ihrer bedrückende Ehe in die weltoffenere Hauptstadt Bogotá zeichnet Vera minutiös und mit viel Gefühl für Details aus der unmittelbaren Lebenswelt der Protagonisten nach. Es fängt mit dem Ekel vor der Gemeinschaftsdusche in der heruntergekommenen Pension an: Karen kommt – trotz allem Freiheitsdrang – aus der behüteten Mittelschicht, mit allem Komfort und den Sicherheiten, die ihr Mann ihr bieten konnte. Als das Geld knapp wird, nimmt sie notgedrungen schlecht bezahlte Jobs an, wie etwa das Verteilen von Flyern in der Innenstadt. Doch als sie dabei eine alte Schulkameradin trifft, gibt sie vor, nur zufällig in der Gegend zu sein. Wenig später geht sie mit einer neu gewonnen Freundin aus. Das Essen lässt sie sich einpacken, um am nächsten Tag etwas im Magen zu haben. Und als sie schließlich beim Klauen erwischt wird, scheint sie am Tiefpunkt ihrer selbst gewählten Misere angekommen zu sein. Als sich herausstellt, dass sie lediglich Tampons und Deo in der Tasche hat verschwinden lassen, erbarmt sich der Geschäftsleiter und lässt sie gehen.

Statusdenken und gesellschaftliche Zwänge einer Gesellschaft, in der die Schere zwischen Arm und Reich besonders groß ist, werden in diesem Film neben der persönlichen Coming-of-Age-Geschichte einer Mittdreißigerin besonders deutlich. Karen trifft schließlich auf Menschen, die ihr neue Perspektiven eröffnen. So wird aus der verkrampften Frau im engen Rollkragenpulli, die am Anfang des Films weinend im Bus sitzt, ganz allmählich eine emanzipierte Großstädterin in kurzer Bluse – und das ganz ohne erzählerische Klischees.

Cosmia Grohmann

http://www.youtube.com/watch?v=Jy3WKLSlVRw

„Karen cries on the bus“, Gabriel Rojas Vera, Darsteller: Ángela Carrizosa Aparicio, María Angélica Sánchez, Juan Manuel Diaz, Kinostart: 26. Juli