KONKLAVE von Edward Berger
A Game Of Throne
Der Papst ist tot. In Rom treten die Kardinäle zusammen, um in einem Jahrhunderte alten Prozedere namens Konklave aus ihren Reihen den nächsten Vertreter Christi auf Erden zu bestimmen. Im Vatikan eingeschlossen, treffen sie, frei von äußeren Beeinflussungen, in der Sixtinischen Kapelle ihre Wahl, bis sich in einem „transzendenten Prozess“ die Stimmen von zwei Dritteln der mehr als hundert Kardinäle auf den würdigsten Kandidaten vereinen und den neuen Papst bestimmen.
Alle paar Jahre verfolgt die Weltöffentlichkeit diesen anachronistischen Prozess, an dem – es ist die katholische Kirche – natürlich nur Männer teilnehmen dürfen. Für Bestsellerautor Robert Harris dient er 2016 als Grundlage eines gut recherchierten Thrillers, der nicht nur eine spannende Geschichte erzählt, sondern auch einen detaillierten Blick in eine sonst hermetisch abgeriegelte Welt gewährt. Nach VATERLAND (1994), ENIGMA (2001), DER GHOSTWRITER (2010), INTRIGE (2019) und MÜNCHEN: IM ANGESICHT DES KRIEGES (2021) entwickelt sich KONKLAVE gerade zur wahrscheinlich bislang erfolgreichsten Harris-Verfilmung.
Im Zentrum des Films (Drehbuch: Peter Straughan) steht Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes), dem als Dekan des Kardinalskollegiums die Durchführung und Leitung des Konklaves obliegt. Lawrence ist von tiefen Zweifeln geplagt (weniger am Glauben selbst, als an der Institution Kirche) und wünscht, sich nach der Papstwahl in ein Kloster zurückziehen zu können. Zunächst aber gilt es, zwischen den widerstreitenden Fraktionen im Kollegium nicht den Halt zu verlieren.
Es heißt, niemand würde sich freiwillig auf den Stuhl Petri wünschen. Doch es gibt sie natürlich, die nach Macht strebende Kardinäle. Solche, die für eine vorsichtige, liberale Öffnung der Kirche stehen, wie der freundlich wirkende Bellini (Stanley Tucci). Es gibt aber auch die erzkonservative Fraktion um den Nigerianer Adeyemi (Lucian Msamati), für den z.B. Homosexualität eine verfolgenswerte Todsünde ist, während der Traditionalist Tedesco (von Sergio Castellitto lustvoll als ständig vapender Intrigant porträtiert) die Kirche gerne in die Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil zurückführen möchte. Tedesco ist für viele Kardinäle nicht die erste Wahl. Doch hofft er, Liberale und Konservative gegeneinander ausspielen zu können.
Während die Kardinäle immer wieder zusammentreten, ohne sich auf einen neuen Papst einigen zu können, verdichten sich Gerüchte und Intrigen im Konklave, Geschichten über frühere Verfehlungen und Fallen, die man sich gegenseitig stellt, bis der eigentlich unparteiische Lawrence sich gezwungen sieht, Stellung zu beziehen.
KONKLAVE ist ein Thriller, der auf engem Raum und mit begrenztem Personal eine stetig steigende Spannung aufzubauen versteht. Eine informierte Kamera (Stéphane Fontaine) fängt jedes entscheidende Detail ein, wobei der Kontrast zwischen der Opulenz der Sixtinischen Kapelle, den Säulengängen und barocken Treppenhäusern des Vatikan auf der einen Seite und der Kargheit der Schlafräume und des Speisesaals in der Casa Santa Marta auf der anderen, seinen ganz eigenen Charme entwickelt.
Edward Berger, der vor zwei Jahren mit der technisch brillanten, aber durch schwerwiegende inhaltliche Veränderungen letztlich missglückten Neuinterpretation von IM WESTEN NICHT NEUES einen großen internationalen Erfolg (vier Oscars, sieben BAFTAs) feiern konnte, hat mit KONKLAVE seine erste amerikanische Produktion vorgelegt. Gedreht an einigen Original-Schauplätzen in Rom, größtenteils aber in den legendären Cinecittà-Studios, wo u.a. die komplette Sixtinische Kapelle (inkl. Michelangelos Fresken) nachgebaut wurde, weiß Berger das Publikum sofort in den Bann zu ziehen. Schnörkellos und äußerst effizient (Schnitt: Nick Emerson) erzählt Berger seine Geschichte, legt falsche Fährten und präsentiert überraschende Wendungen bis hin zum verblüffenden Finale.
Das Ganze ist unterlegt mit einem Unheil dräuendem Score von Volker „Hauschka“ Bertelmann, der für seine Drei-Ton-Musik zu IM WESTEN NICHTS NEUES den Oscar gewann. Seine Arbeit für KONKLAVE ist deutlich komplexer, lässt sich aber auch auf einen Signature-Sound eindampfen, der höchstwahrscheinlich zukünftigen Politdokumentationen als Soundtrack für dramatische Wendungen dienen wird.
Getragen wird die Geschichte von einem erstklassigen Ensemble. Jede Nebenfigur bekommt ihren großen Moment, selbst die von Isabella Rossellini gespielte und eigentlich zur Unsichtbarkeit verpflichtete Schwester Agnes, eine Figur, die der Filmversion hinzugefügt wurde, um dem fast ausschließlich männlichen Cast einen Contrapunkt zu setzen. Der Brite Ralph Fiennes gibt seinen Kardinal Lawrence als zaudernden Zweifler, bemüht nicht über die Fallstricke seiner Zunft zu stolpern, im entscheidenden Moment aber bereit, seine Zukunft zu riskieren, um das Konklave und die Kirche vor einer Katastrophe zu bewahren.
KONKLAVE entwickelte sich in den vergangenen Wochen an den Kinokassen zu einem moderaten Hit, wird aber vor allem in der kommenden Awards Season eine gewichtige Rolle spielen. Bei zahlreichen amerikanischen Kritikervereinigungen wird er als Bester Film gehandelt und das einflussreiche National Board Of Review nennt KONKLAVE in seiner vielbeachteten Liste der zehn besten Filme 2024. In einem Jahrgang (noch dazu in einem Wahljahr), der noch keinen eindeutigen Favoriten hervorgebracht hat, könnte KONKLAVE, ein Film über eine Wahl, bei der persönlicher Idealismus von Machtgelüsten und menschlicher Fehlbarkeit überschattet wird, als Konsens-Kandidat auch bei der Oscarverleihung Anfang März triumphieren.
KONKLAVE läuft seit 21. November im Kino.
Mögliche Oscarnominierungen: Bester Film, Regie, Adaptiertes Drehbuch, Hauptdarsteller, Nebendarstellerin, Nebendarsteller, Kamera, Schnitt, Ausstattung, Kostüme, Ton, Score.
Thomas Heil
CONCLAVE, Regie: Edward Berger, Darsteller_innen: Ralph Fiennes, Stanley Tucci, John Lithgow, Isabella Rossellini, Lucian Msamati, Sergio Castellitto, Carlos Diehz, Brían F. O’Byrne u.v.a.