MAESTRO von Bradley Cooper


Das Kinojahr 2023 hat seine finale Phase erreicht. Die Awardsseason 2023 hat aber gerade erst begonnen. Traditionell bringen die großen Studios ihre preisverdächtigsten Werke erst zum Jahresende in die Kinos, damit die Filme bei den jeweiligen Jurymitgliedern noch möglichst frisch in Erinnerung sind. Der im Moment wahrscheinlichste zukünftige Oscarpreisträger, Christopher Nolans anspruchsvoller Blockbuster OPPENHEIMER, ist zwar schon im Sommer angelaufen und mit BARBIE, PAST LIVES, ANATOMIE EINES FALLS und KILLERS OF THE FLOWER MOON sind weitere Awards Contender schon seit Wochen im Kino. Doch in den kommenden Wochen werden noch viele Filme Premiere feiern, die im März bei der Oscarverleihung eine Rolle spielen könnten. Filme wie: POOR THINGS, THE HOLDOVERS, AMERICAN FICTION, THE COLOR PURPLE, THE ZONE OF INTEREST, MAY DECEMBER, SALTBURN, ALL OF US STRANGERS oder PRISCILLA.

Mit MAESTRO ist in dieser Woche ein weiteres Schwergewicht angelaufen und wenn es spätestens im März um die Frage nach den besten Hauptdarsteller_innen geht, wird dieser Film ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben. Superstar Bradley Cooper hat nach dem eher mediokren A STAR IS BORN (2018) zum zweiten Mal Regie geführt und erneut eine ganz der Musik verschriebene Figur porträtiert.

Leonard Bernstein (Bradley Cooper) gilt in den 1940er Jahren als einer der begabtesten jungen Komponisten und Dirigenten seiner Zeit. Als er 1943 kurzfristig für den erkrankten Bruno Walter einspringt und ein umjubeltes Konzert in der Carnegie Hall spielt, ist das der Auftakt einer beispiellosen Karriere. Bernstein ist ein Star, eine umschwärmte Persönlichkeit, der sein enormes Talent aber auch der leichten Muse schenkt. Seine größten Erfolge feiert er mit den Musicals ON THE TOWN und später mit der WEST SIDE STORY. Im Fernsehen wird er mit den gefeierten „Young Peoples Concerts“ zum Musiklehrer des amerikanischen Publikums.

Bei einer privaten Feier lernt er die aus Chile stammende Schauspielerin Felicia Montealegre (Carey Mulligan) kennen, eine Seelenverwandte, die er vier Jahre später ehelicht. Dem Paar geht es gut. Leonard widmet sich seiner Arbeit und feiert einen Erfolg nach dem anderen, während Felicia ihre Karriere vorerst auf Eis legt und sich um die drei Kinder kümmert.

Eine klassische Familienkonstruktion der 1950er und 60er Jahre, wenn da nicht Leonards kaum verborgene Homosexualität wäre. Immer wieder zieht es ihn zu jungen, attraktiven Männern, mit denen er selbst in ihrem Beisein hemmungslos flirtet. Felicia hat sich entschieden, diesen Teil seiner Persönlichkeit zu akzeptieren, doch als ihre Kinder mit Gerüchten zu seinem Liebesleben konfrontiert werden, bricht die Fassade der heilen Familie. Nach einem heftigen Streit entschließt sie sich, ihn zu verlassen. Doch die Trennung ist nur vorübergehend.

Für Bradley Cooper ist MAESTRO ein großer Schritt nach vorn. Als Schauspieler überzeugt er, aber mehr noch als Regisseur. Der Schauspieler Bradley Cooper hatte immer das Problem, dass seine Star-Persona, dieses innere Glühen, die Rollen, die er spielte, zu überstrahlen schien. Ein Hauch von Overacting, das ihn seine Kunst nie vollenden ließ. Mit Leonard Bernstein hat er einen überlebensgroßen Charakter gefunden, zu dem genau das aber hervorragend passt. Bernstein ist eine einnehmende, problemlos jeden Raum füllende, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehende Persönlichkeit, die von Cooper bis ins kleinste mimische und gestische Detail studiert und wiedergegeben wird. Es ist eine sehr physische Performance, die vor allem in den Szenen, in denen Bernstein dirigiert und Cooper die zahlreichen Manierismen des Meisters ausstellt, beeindruckt.

Als Regisseur hat er deutlich dazu gelernt, was vor allem heißt, dass er den Schauspieler Cooper, wenn es angebracht ist, zurückzunehmen weiß. Den Fehler von A STAR IS BORN, wo er nach zwei Dritteln das Interesse an seiner weiblichen Hauptfigur (dem Star im Titel) verlor und stattdessen den von Cooper gespielten Leidensmann ins Zentrum rückte, begeht er diesmal nicht. Im Gegenteil, er gibt Carey Mulligan den Raum, den sie braucht, um sich als Felicia zu entfalten. Ist sie zu Beginn noch Leonards Love Interest, dann die liebende Ehefrau und Mutter, beginnt sie nach der schmerzhaften Trennung erst zu erblühen. Ihr Weg ist ein emotionaler Ritt, den Mulligan mit großer Würde und Empathie zu verkörpern weiß. Auch wenn die zweite Hälfte des Films gegen den auch künstlerisch aufregenderen ersten Teil etwas abfällt, was eher ein Problem des Drehbuchs ist, das sich zum Ende doch zu sehr in den Bahnen eines klassischen Biopics bewegt, wissen Mulligan und Copper den Film mit ihrer Performance zu retten.

Ästhetisch ist der Film ein Genuss. Cooper hat jede Episode im Leben Bernsteins im Stil des Kinos jener Zeit gestaltet. Während die in den 1940er und 50er Jahren spielenden Szenen in berauschendem Schwarzweiß und im Akademie Format gedreht wurden, wandelt sich die Farbpalette ab den 60ern und ist im Stil des ausklingenden Studiosystems, des New Hollywood und schließlich des Kinos der Reagan-Ära inszeniert. Gerade in der ersten Hälfte sind Kamerabewegungen und Schnitte geradezu experimentell, bis hin zu einer Szene, in der Leonard und Felicia eine Theaterprobe besuchen und die Musicalnummer den Stand der Beziehung der beiden zu reflektieren scheint. Hier beweist Cooper ein Maß an Kontrolle über sein Material, das nach dem recht konventionellen A STAR IS BORN nicht zu erwarten war.

Im Vorfeld hat es viel Aufregung wegen der Nutzung einer prosthetischen Nase für Cooper (Stichwort: Jewish Facing) gegeben. Doch das kritisierte MakeUp ist gerade in den späten Phasen des Films außerordentlich beeindruckend und wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen Oscar gewinnen. Und die Musik sollte in einem Film über Leonard Bernstein eh über jeden Zweifel erhaben sein.

In seiner Mischung aus Künstlerbiographie und Ehedrama mit homoerotischer Schlagseite ist MAESTRO thematisch klassischer Oscarstoff. Die visuell anspruchsvolle Gestaltung gibt ihm zusätzlichen Buzz. Es sind aber vor allem die beiden zentralen schauspielerischen Leistungen, die ihn über das Niveau von typischem Oscarbait heben, eines Films also, der nur dazu gemacht scheint, seinen Verantwortlichen möglichst viele Awards zu sichern. Auf dem Papier mag MAESTRO genauso aussehen. Das fertige Produkt offenbart aber, mit wie viel Liebe zum Detail man hier doch zu Werke gegangen ist.

In den kommenden Wochen wird sich zeigen, wie sehr Cooper und (mehr noch) Mulligan die verschiedenen Awards-Jurys von sich überzeugen konnten. Bei den Oscars mit ihrem Hang zur Auszeichnung von Real-Life-Charakteren werden Cooper und Mulligan jedenfalls schon jetzt hoch gehandelt.

Mögliche Oscarnominierungen: Bester Film, Regie, Drehbuch, Hauptdarstellerin, Hauptdarsteller, Kamera, Schnitt, Production Design, Kostüme, MakeUp & Hair Styling, Ton.

MAESTRO, Regie: Bradley Cooper, Darsteller_innen: Carey Mulligan, Bradley Cooper, Matt Bomer, Maya Hawke, Sarah Silverman, Gideon Glick u.v.m.

Ab 20. Dezember wird MAESTRO zusätzlich auf Netflix zu sehen sein.

Beitragsbild ©: Winston Vargas, Flickr –> https://www.flickr.com/photos/winston_vargas/9753809845