NOSFERATU von Robert Eggers


NOSFERATU © 2024 FOCUS FEATURES LLC
NOSFERATU © 2024 FOCUS FEATURES LLC

Succumb To The Darkness

Seit seinen Anfängen vor über hundert Jahren ist das Kino ein Ort der Flucht, in dem wir uns in fremde Realitäten, fantastische Welten oder an Orte begeben können, vor denen uns unser gesunder Menschenverstand permanent warnen würde. Seien es ungezügelte Wildwest-Schießereien, atemberaubende exorbitante Abenteuer oder dunkle Wälder, in denen – wie wir als geneigtes Kinopublikum wissen – hinter jedem Schatten unsagbares Grauen hervor schrecken könnte. Es ist denn auch der fantastische Film, der das Medium in seinen frühen Jahren populär machte und in dem geniale Grundlagenforscher wie Georges Méliès dem Kino ein ganzes Universum an visuellen und narrativen Tricks schufen, das heute noch – wenn auch vielfach in modernisierter Form – das Publikum in seinen Bann zu schlagen versteht.

Eine Spielart des fantastischen Films, der Horrorfilm, erfreut sich bis heute größter Beliebtheit und wenn es auch ganze Heerscharen an billig produzierten und monoton erfolgserprobte Konzepte kopierenden Horrorstreifen zu geben scheint – ein Blick in die entsprechenden Kategorien der handelsüblichen Streaminganbieter genügt – verdankt das Medium Film dem Kino der Angst doch auch einige seiner wichtigsten und einflussreichsten Werke. Jenseits der Ramschware präsentiert sich Horror in den unterschiedlichsten Formen, kann mal auf der einfachen Klaviatur einer filmischen Geisterbahn spielen, sich in den Untiefen eines menschlichen Dramas verstecken oder ganz spezifisch an Urängste appellieren.

Zu den beliebtesten Topoi des Horrorfilms gehört der Vampirfilm, der sich allzu oft an Bram Stokers berühmten Roman DRACULA orientiert und den Fürsten der Dunkelheit mit seiner kaum verhüllten sexuellen Ausstrahlung romantisiert. Von Bela Lugosis Auftritt in der ersten autorisierten DRACULA-Verfilmung (1931) bis hin zu Robert Pattinsons schmachtendem Jüngling in den TWILIGHT-Schmonzetten (2008-2012) – immer verbindet der Vampir todbringendes Ungemach mit dem Versprechen auf sexuelle Erfüllung (und ein ewiges Leben im Schatten). Dieses Motiv findet sich erst in Stokers literarischen Vorlage und ihren späteren filmischen Überarbeitungen. Sie unterscheidet sich stark von den historischen Vampirmythen des Balkans, an denen sich das Team der nun vorliegenden Neuverfilmung aber stärker orientiert. Der Vampir wird hier nicht als ein sich in eine Fledermaus verwandelnder und in den Hals beißender Adonis dargestellt. Vielmehr erscheint er als eine aus dem Todesschlaf erweckte, verrottende Leiche mit vorstehenden Schneidezähnen.

Als Friedrich Wilhelm Murnau Anfang der 1920er Jahre eine erste Verfilmung des Romans plante, wurde ihm dies von Stokers Witwe untersagt, woraufhin die Handlung kurzerhand ins Deutschland der Biedermeier-Epoche verlegt, die Namen der handelnden Personen geändert, die Grundzüge der Romanhandlung aber ansonsten beibehalten wurden – ein Geniestreich, wie sich später herausstellte. Auch wenn der Film seinerzeit floppte und sämtliche Kopien nach einem verlorenen Rechtsstreit vernichtet werden sollten, überlebte NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922) durch einige verstümmelte Kopien und wurde Jahrzehnte später aufwendig restauriert.

Murnaus NOSFERATU entwickelte sich zur Legende und zu einem der einflussreichsten Werke des Horrorgenres. Mit seiner expressionistischen Bildgebung, die den Schrecken in der Natur sucht und das Erscheinen des Vampirs mit dem Ausbruch der Pest gleichsetzt, spiegelte der Film auch die unruhigen Verhältnisse der frühen Weimarer Republik und deren ungewisse Zukunft. Werner Herzog inszenierte 1979 ein gelungenes Remake und nun, fast ein halbes Jahrhundert später, kommt eine dritte Version ins Kino, dessen Regisseur seit seinen Kindheitstagen ein großer Verehrer des Originals ist und schon als Student eine Bühnenversion von NOSFERATU aufführen ließ.

Robert Eggers gehört zu einer ganzen Reihe junger Regisseur*innen, die dem Horrorgenre in den letzten Jahren eine längst nötige Frischzellenkur verabreicht haben. Eggers sieht sich dabei der historischen Rekonstruktion verpflichtet. Kein anderer derzeit arbeitender Regisseur setzt so sehr auf Detailtreue – in Ausstattung wie Atmosphäre – wie Eggers. Selbst vom Production Design kommend, hat er in nunmehr vier Filmen ein Team um sich geschart, das seiner Vision eines immersiven Kinoerlebnisses perfekt zuarbeitet. Das drückt sich in bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Settings aus, in perfekten, oft mit natürlichem Licht ausgeleuchteten Bildern oder in Eggers in vormoderner Sprache geschriebenen Dialogen.

Auch sein NOSFERATU ist wieder ein Fest für Augen und Ohren. Die Handlung folgt dem klassischen Muster. In der fiktiven deutschen Hafenstadt Wisborg weckt die einsame, verzweifelt nach Beistand suchende Ellen (Lily-Rose Depp) mit ihren Gebeten den transsilvanischen Vampir Nosferatu, der sie fortan in ihren Träumen aufsucht. Jahre später (1838) hat sie den Makler Thomas Hutter (Nicholas Hoult) geehelicht. Als dieser zu einem reichen Käufer ins ferne Transsilvanien geschickt wird, lässt sie bei dem mit ihm befreundeten wohlhabenden Reeder Harding (Aaron Taylor-Johnson) zurück. Vor seiner Ankunft bei Graf Orlok (Bill Skarsgård) wird Hutter in einem rumänischen Dorf Zeuge eines schaurigen Rituals. Das Grauen steigert sich im Schloss des Grafen, der alsbald aufbricht, den Tod in Hutters Heimat zu tragen.

Auch wenn die Motive der Geschichte sattsam bekannt sind, schafft es Eggers, ihnen einen unheimlichen, beunruhigenden Ton zu verleihen, der anderen Vampirfilmen – die beiden bisherigen NOSFERATU Filme ausgenommen – abgeht. Wie bei Murnau und Herzog dient der Graf nicht als erotisiertes männliches Role Model. Zwar wird er von Ellen seit ihrer Jugend herbeigerufen. Doch ihre erotischen Träume gehen auch immer mit einer Ahnung unsagbaren Grauens und zahllosen Sterbens einher. Weder Max Schreck (1922) oder Klaus Kinski (1979) noch der 2025-Nosferatu Bill Skarsgård taugen dabei als erotische Fantasie. Wie die meisten Frauen ihrer Zeit muss auch Ellen erleben, dass ihre Ahnungen, Visionen und Ängste nicht ernst genommen und auch von Ärzten hilflos als „Melancholie“ abgetan werden. Selbst als die Pest in Wisborg ausbricht, sind die Männer nicht bereit, auf Ellen einzugehen. Nur der gesellschaftlich wegen Okkultismus geächtete Prof. Albin Eberhart von Franz (eindeutig für die humorvollen Momente in dieser schaurigen Geschichte zuständig: Willem Dafoe) wird zu ihrem Verbündeten. Er ist bereit, ihr das Opfer zu ermöglichen, das Wisborg und die Welt von Nosferatu befreien könnte.

Wie schon Eggers frühere Filme THE WITCH (2015), THE LIGHTHOUSE (2019) und THE NORTHMAN (2022) weiß auch NOSFERATU auf audiovisueller Ebene zu überwältigen. Eggers erweist sich wie gesagt als großer Rekonstrukteur historischer Settings und Interieurs und wird dabei von seinem Production Designer Craig Lathrop kongenial unterstützt. Von hoher Plastizität und Stofflichkeit zeugen auch Linda Muirs Kostüme. Für die atemberaubenden Bilder – NOSFERATU ist ein Film, in dem wirklich jedes Bild wie von einem alten Meister gemalt aussieht – ist Jarin Blaschke verantwortlich, der die nächtlichen Szenen nur von Kerzen, Gaslaternen oder Fackeln beleuchten ließ. Blaschke, Muir und Lathrop gehören, wie auch Cutterin Louise Ford, seit THE WITCH zum festen Team Eggers. Nur der Komponist Robin Carolan ist relativ neu an Bord. NOSFERATU ist erst sein zweiter Score, nach THE NORTHMAN.

Für Willem Dafoe und Ralph Ineson ist NOSFERATU die bereits dritte Zusammenarbeit mit Eggers. Hauptdarstellerin Lily-Rose Depp hingegen ersetzte Anya Taylor-Joy, für die NOSFERATU ebenfalls der bereits dritte Eggers-Film gewesen wäre. Depp, der bislang das wenig schmeichelhafte Label Nepo-Baby anhing und die neben kleineren Rollen nur das Serien-Fiasko THE IDOL aufweisen konnte, zeigt in NOSFERATU als junge Frau, die auf der Suche nach Befreiung von gesellschaftlicher (sprich: männlicher) Unterdrückung schlimmstes Unheil hervorruft, auch unter großem körperlichen Einsatz die beeindruckendste Performance ihrer noch jungen Karriere. Von Bill Skarsgård, der unter Tonnen von MakeUp (nebst mächtigem Schnäuzer) kaum zu erkennen ist, bleibt vor allem die tiefe, markerschütternde Stimme in Erinnerung. Allein für Skarsgård und seine langsam vorgetragenden Sentenzen nebst breitem rumänischen Akzent sei der Film unbedingt im Original empfohlen.

Mit seinem neuesten Film hat Robert Eggers ein NOSFERATU-Update geschaffen, das technisch modern ist, inhaltlich aber aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Einmal mehr ermöglicht uns Eggers in eine andere Epoche ganz einzutauchen. Nichts wird hier durch allzu offensichtliche Verweise auf unsere Gegenwart verwischt. Wer mag, kann in der Geschichte vom bösen Geist, den man aus Verzweiflung über die Umstände, in denen man lebt, herbeiruft und der die ganze Welt zu verschlingen scheint, einen Bezug zum wenig mutmachenden Jahr 2025 sehen. Eggers betont aber ausdrücklich, dass ihm nicht nach einer diskursaffinen Lesart gelegen ist. Er hat sich nach eigener Aussage mit NOSFERATU einen lang gehegten Traum erfüllt und den Film inszeniert, der für ihn der größte Antrieb war, eine Karriere im Filmbusiness zu starten. Bleibt zu hoffen, dass Eggers auch weiterhin so wunderbar anachronistische Werke zu schaffen versteht, die im Horrorgenre ihren ganz eigenen, einzigartigen Platz einnehmen.

NOSFERATU läuft seit dem 2. Januar im Kino.

Mögliche Oscarnominierungen: Bester Film, Regie, Drehbuch, Hauptdarstellerin, Nebendarsteller, Kamera, Ausstattung, Kostüme, Maske, Schnitt, Score.

NOSFERATU, Regie: Robert Eggers, Darsteller_innen: Lily-Rose Depp, Bill Skarsgård, Nicholas Hoult, Aaron Taylor-Johnson, Emma Corrin, Willem Dafoe, Ralph Ineson, Simon McBurney u.v.a.