„Room 237“ von Rodney Ascher


Das Overlook Hotel wird Einstellung für Einstellung untersucht. Foto: Unkown Pleasures

Das Overlook Hotel wird Einstellung für Einstellung untersucht. Foto: Unkown Pleasures

42

Stanley Kubricks „Shining“ wurde seiner Zeit von den Kritikern verrissen. Über die Jahre hinweg entwickelte sich die eigensinnige Umsetzung eines Stephen King Romans als „Must See“. Das liegt zum einen daran, dass Kubrick gleichzeitig das gute alte Haunted House der Gothic Novel dank seiner Beschäftigung mit unterschwelligen Botschaften, Architektur als solche und die Frage nach dem Zusammenhang von Raum und Zeit in etwas verwandelte, was gleichzeitig vor den Zumutungen der Moderne flieht und doch manifestiert. Diese ausbalancierte Mischung aus natürlichen und übernatürlichen Komponenten, kann den Versuch der Auflösung, was überhaupt im Overlook Hotel während des Aufenthalts von Hausmeister Jack Torrance und seiner Familie  geschah, zu einer Lebensaufgabe werden lassen. Während die Meisten sich mit Tarkowskys Ausspruch „Wir schauen nur, aber wir sehen nicht“ begnügen, machte Regisseur Rodney Ascher einen Film, der mögliche Aufklärungsmöglichkeiten für „Shining“ anbietet – „Room 237„. An der Geschichte des Gebäudes scheint zumindest kein Weg vorbeizuführen. Zum einen ist es auf blutigem Boden erbaut worden, da in dieser Gegend beheimatete Indianer einst gewaltsam vertrieben wurden. Und zum anderen ereignete sich, unter Umständen auch gerade durch diese blutige Vergangenheit, im Hotel bereits eine ähnliche Tragödie vor einigen Jahren.

So wird das Overlook Hotel Einstellung für Einstellung untersucht und natürlich verdeutlicht sich bei einer genaueren Beleuchtung vieles. Zum einen die vielen architektonischen Unmöglichkeiten. So ist das Hotel mal größer, mal kleiner. Mal ist ein Berg eher rechts hinter dem Hotel, mal eher links. Das Büro von Hoteldirektor Mr. Ullman hat ein Fenster und natürlich dürfte dort kein Fenster sein. Koch Dick Halloran führt Wendy und Danny durch die Küche, öffnet die Tür zur Linken zur Vorratskammer und verlässt den selben Raum zur Rechten. Die Muster der Teppiche sind von Einstellung zu Einstellung horizontal oder vertikal gespiegelt. Stühle verschwinden von einer Einstellung zur Nächsten. Die Farbe von Jacks Schreibmaschine ändert sich im Laufe des Films. Zum anderen taucht die Zahl 42 überproportional häufig auf – auf dem Shirt eines Hotelgastes, auf einem Poster. Wenn man jede einzelne Ziffer der Raumnummer 237 miteinander multipliziert, erhält man 42.  Es könnte eine Anspielung auf das Jahr 1942 sein. Das Jahr, in dem die „Endlösung der Judenfrage“ begann. Kubrick hat sich nach eigener Auskunft sehr intensiv mit dem Dritten Reich und der Shoa beschäftigt. Dieser genozidiale Subtext wird noch durch die Tatsache verstärkt, dass das Hotel auf einem Indianermassengrab errichtet wurde. Unnötig zu erwähnen, dass man in wenigstens zehn Einstellungen Indianermotive findet. Zu den Indianermotiven gesellen sich Adlermotive. Ein T-Shirt von Jack ziert ein Adlermotiv. Jacks Schreibmaschine ist von der Firma „Adler“.

Ein Hotel als solches ist schon ein merkwürdiger Ort. Es suggeriert Innerliches, Märchenhaftes, ein gefälschtes Jetzt. Der Golden Room des Overlook Hotels ist wohl das Husarenstück der Verdrängung. Ohne sie länger praktizieren zu können, rettet der Barkeeper Lloyd Tugenden und Werte, die unser Kulturkreis gehalten und gepflegt hat: die Gastfreundschaft, die Höflichkeitsdistanz, die Würde, all das, was an den Massengräbern dieser Welt zur Ideologie von Mördern geworden ist. Beeindruckend ist, dass Kubrick all das völlig unkommentiert im Film geschehen lässt. Kein Kommentar aus dem Off. Kein Kommentar seiner Figuren. Sie sind wie Mäuse in einer Laboranordnung. Nichts bereitet den Zuschauer vor auf das, was kommt. Jacks Torrance beinahe exponentiell wachsende Aggressionen überraschen am Ende von „Room 237“ nicht mehr. Rodney Ascher ist ein gelungenes Filmessay geglückt, welches mit seinen 102 Minuten 70 Prozent der Spielzeit von „Shining“ erreicht und es ist zu wünschen, dass diese 102 Minuten als Bonusmaterial für eine zukünftige DVD- oder Blue Ray Neuveröffentlichung von „Shining“ enden werden.

Joris J.


Room 237„, Regie: Rodney Ascher, Kinostart 19. September 2013