Serienkritik: RAISED BY WOLVES


Welten, die die Sci-Fi-Fantasie befeuern, gibt es viele. Hier ein Foto einer Supernova © ESA/Hubble & NASA

Mit den exotischen Welten, den unendlichen Weiten ist es in Sci-Fi-Produktionen eher selten weit her. Viel Sci-Fi der neueren Generation hat trotz guter Scripts oder neuestem CGI das Problem des allzu Bekannten. Die Tiefen des Universums sind entweder B-Movie-artig oberflächlich und lehnen sich zu stark an Pionierarbeiten des Genres an. Oder Bubblegum-Effekte überdecken einen Mangel an Ideen und einen sehr limitierten Cast an Figuren und Orten. Zu oft wirkt das Unendliche des Alls in den immer gleichen Einstellungen der immer gleichen Talking Sci-Fi-Heads klaustrophobisch.

Cthulhu sei Dank ist das neue Plattform-Zeitalter angebrochen. Der Zwang zur Neukundenbindung heutiger Streaming-Anbieter setzt – zumindest bis zur vorerst finalen Aufteilung des Marktes unter den dann verbliebenen Giganten – ordentliche Budgets und einen gewissen Innovationsdruck frei. Das tut einer traditionell auf Investitionswahrung bedachten Produktionslandschaft durchaus gut. Den Fans von komplexer Sci-Fi-Unterhaltung hat es unter anderem THE EXPANSE (Amazon) und ALTERED CARBON (Netflix) beschert.

Fast scheint es, als sei Science Fiction und sein Zwilling Fantasy für neueres Fernsehen das, was der Krimi für das lineare Fernsehen ist: eine stabile Währung, in der praktisch jeder Sender, ob neuerer oder gebührenfinanzierter Natur, einschaltquotenträchtig zu handeln hat. Entsprechend verlässt auch der Akademiker-Sender HBO zunehmend den cleveren Realismus, der in berühmt gemacht hat. Mit RAISED BY WOLVES, produziert von Ridley Scott und geschrieben von PRISONERS-Autor Aaron Guzikowski, wechselt HBO gar ins nächste Sonnensystem. Der staubtrockene Planet Kepler 22b wird zum neuesten Schauplatz der Conditio Humana nach Scottscher Auslegung.

Scott, der in den ersten beiden Folgen auch Regie führte, findet mit seiner ersten TV-Produktion seit Jahrzehnten einen Mittelweg zwischen erzählerisch und visuell Anspruchsvollem. Spezialeffekte sind spärlich, Kostüme bewusst bescheiden. Dafür wird der geheimnisvolle Exilplanet, getaucht in blasskühle Blau- und Brauntöne, filmisch klug erkundet, kann hinter jedem Felsen eine dringend benötigte Nahrungsquelle oder eines der seltsamen Wesen, die Kepler 22b bewohnen, warten.

Nur wäre es nicht auch Scott, wenn er nicht zugleich sein Multiverse um die nächste, diesmal mütterlich programmierte Iteration seiner geliebten Menschmaschinen erweiterte. Überhaupt könnte man RAISED BY WOLVES auf eine Art extraterrestrischen Recyclinghof für früherer Produktionen von BLADERUNNER über TERMINATOR bis ALIEN reduzieren. Nur will die Serie zum Glück mehr und schafft es an vielen Stellen auch, aus dem langen Schatten seiner Vorbilder herauszutreten.

In die Liste von Scotts ikonischen Androiden – unter anderem gespielt von Rudger Hauer und zuletzt Michael Fassbender – reiht sich die Dänin Amanda Collin als Mother ein. Gemeinsam mit dem Android Father hat sie auf dem vermeintlich unbewohnten Planeten Kepler-22b eine Schar Kinder großzuziehen und eine dezidiert religionsfreie Kolonie zu gründen. Denn wie wir bald erfahren, wurde die Erde durch einen Religionskrieg zerstört. In diesem war Mother, die sich buchstäblich per Augenzwinkern von Kitabetreuerin in Massenvernichtungswaffe verwandeln kann, ursprünglich eine Atheisten-Jägerin. Bis sie ein geheimnisvoller Ingenieur (Cosmo Jarvis) auf Seiten der Ungläubigen zur gebärfreudigen Retterin der Menschheit umprogrammiert und losschickt, ein nahes Sonnensystem neu zu bevölkern.

Collin aka Mother verkörpert ihre Aufgabe inklusive maschinellem Soul-Searching mit reichlich Präzision und so etwas wie besorgter Gleichgültigkeit. Dabei wechselt sie zwischen der steifen Trotteligkeit eines STARTREK-Data und der unerbittlichen Anmut eines Fassbender in PROMETHEUS hin und her. Das wirkt zu Beginn ungelenk und nervt, etwa wenn Mother und Father einen Witz machen und diesen gleich darauf besprechen, gewinnt aber von Folge zu Folge an Glaubwürdigkeit und Dringlichkeit.

Gespiegelt wird Mothers Konversion zur Atheistin von ihrem Gegenspieler Marcus, der seinerseits noch vor kurzem in den Reihen der Atheisten kämpfte. Marcus, wunderbar irre gespielt von Travis Fimmel, hat sich auf der Erde per gesichtschirurgischem Eingriff eine neue Identität als ranghoher Religionstruppen-Offizier Caleb ergaunert. Seine neue Identität verschafft ihm und seiner ebenfalls operierten Gefährtin Sue/Mary (Niamh Algar) nicht nur einen Platz auf dem Raumschiff Ark, sondern auch die unerwartete Elternschaft eines superintelligenten und superreligiösen Kindes. Das befindet sich ebenfalls an Bord der Ark und nach einigen Plot-Twists schließlich in der atheistischen Ameisengruppe der Ungläubigen-Kita auf Kepler22b.

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