„The Wolf of Wall Street“ von Martin Scorsese


Mehr ist niemals genug.

Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) folgt nur einer Maxime: Mehr ist niemals genug. Foto: Universal Pictures International Germany

Die Obszönität des Geldes

Jordan Belfort liegt bäuchlings vor dem Eingang des Country Clubs und kann sich nicht bewegen. Sabber quillt aus seinem Mund und tropft auf die Stufen vor ihm, die er eigentlich nur hinunterlaufen müsste, um wieder in seinen protzigen Ferrari zu steigen. Doch er kann nicht aufstehen. Eine Überdosis Methaqualon, unter Kennern als ´Lemmon 714´ oder ´Ludes´ bekannt, hindert ihn daran. Also bleibt ihm nur das Kriechen. Ein stinkender, schwitzender, tollwütiger Hund schleift sich keuchend über die Schwellen der Upperclass. Abwärts wohlgemerkt. Dass dieses Bild symptomatisch für Scorseses Handschrift und auch für dieses hier vorgelegte 180 Minuten-Werk ist, muss wohl kaum noch erwähnt werden.

Denn auch in „The Wolf of Wall Street“ geht es in klassischer Scorsese-Manier mal wieder um Aufstieg und Fall. Ein Motiv, um die Filme wie „Good Fellas“ und „Casino“ bereits meditativ aus der Mafia- und Gangsterperspektive kreisten. Inzwischen sind wir nun jedoch an der Börse angekommen und blicken direkt in die hässliche Fratze der Yuppiewelt der späten 80er Jahre. Eine Umgebung, in der Koksen und Wichsen die entscheidenden Überlebensstrategien sind – glaubt man einem erprobten Broker, mit dem sich Belfort eingangs zum Mittagessen trifft. Mit dem Schauplatz ändern sich auch die Artefakte, die die Auf- und Abwärtsbewegung durch das Konstrukt dieser janusköpfigen Überflussgesellschaft verdeutlichen sollen. Statt Waffen und Pokertischen gibt es nun vorsintflutliche Computer, potthässliche Krawatten und Koks auf blanken Brüsten. Geblieben ist hingegen die Offstimme des Protagonisten, die im „Und-das-ist-dann-passiert“-Stil die folgenden Bilder zwischendurch schon mal vorsorglich ankündigt.

Daher lässt sich die Geschichte zu Jordan Belfort auch knapp zusammenfassen: Ein junger Broker gründet ein zwielichtiges Unternehmen, das reiche Schnösel zum Kauf abertausender Schrott-Aktien animieren soll, bis er selbst zum reichen Schnösel wird und das FBI sich ihm an die Fersen heftet. Wesentlich ausladender sind hingegen die Ansprachen, die er vor seiner zur Euphorie hypnotisierten Belegschaft hält. Hier ist er der Wolf im Nadelstreifenanzug, der dieses Mal die richtige Dosis Methaqualon eingeworfen hat und bei dem niemand weiß, was für ein armes Würstchen er eigentlich im Bett ist. Ehefrau Nummer 1 & 2 können das bestätigen. Er ist der Prediger, der zu seinen Jüngern über die Schreibtische des Großraumbüros hinweg spricht. Er ist der kapitalistische Heiland, der Geld zur neuen Religion erhebt. Er ist das Raubtier, das nie die Zähne fletscht, sondern mit einem lausbübischen Lächeln vollkommene Undurchdringlichkeit ausstrahlt. Und er ist der Schauspieler Leonardo DiCaprio, der mit diesem Film mal wieder bewiesen hat, dass er sein Handwerk absolut beherrscht. Im Close-Up schwitzt und bebt sein solariumgebräuntes Gesicht, während die Gier sich förmlich aus der Leinwand ergießt.

Geld und Macht sind nicht länger reine Symboliken des Wohlstands, sie sind das obszöne, aufgegeilte Flimmern in seinen Augen und in denen seiner Angestellten. Mehr ist niemals genug. In „The Wolf of Wall Street“ formt sich die reine Lust am Überfluss zur perversen Megalomanie, die die Beteiligten mit jedem trockenen Martini, jeder weißen Line und jedem bedeutungslosen Fick absorbieren. Und während Exzess und Konsumrausch unaufhörlich aus ihren Poren strömen, passiert das Ordinäre beinah unmerklich die Schranke zur Upperclass. Reichtum war noch nie so billig.

Alina Impe

„The Wolf of Wall Street“ Regie: Martin Scorsese, Darsteller: Leonardo DiCaprio, Kyle Chandler, Jon Favreau, Jonah Hill, Shea Whigham, Matthew McConaughey, Jean Dujardin, Rob Reiner, Ethan Suplee, Joanna Lumley, Jon Bernthal, Cristin Milioti, Spike Jonze, Kinostart: 16. Januar 2014