Festivalbericht vom 5. Pornfilmfestival

Porno Chic im Moviemento


Kunst im Moviemento

Kunst im Moviemento

In den 70er Jahren hatte die Pornobranche noch Hoffnung: Sie wollte raus aus dem Schmutz und rein in den Mainstream. Man träumte gar vom Artehouse-Porno. Zu Beginn setzen sich zahlreiche Filme auch tatsächlich im Mainstream durch und gelten bis heute als Klassiker des Genres. Gerard Damianos „Deep Throat“ (1972) etwa zählt zu den erfolgreichsten Kinofilmen überhaupt. Weltweit spielte der ungelenk inszenierte Streifen knapp 100 Millionen Dollar ein und wurde selbst von der New York Times mit einer ausführlichen Rezension bedacht. Pornografie als Salongespräch? Sex als erzählerisches Moment? Der Offensichtlichkeit des bisher kaum öffentlich Gezeigten schien eine Zukunft in der Mitte der Gesellschaft beschieden. Porno war en vogue … und ging dann wieder in seine Schmuddelecke zurück. Stinknormal war er nie und wird es auch niemals sein. Das zeigte auch das 5. Pornfilmfestival im Moviemento.

Natürlich gab es diese Momente des Kicherns, wenn die Zuschauer nicht recht wussten, ob sie über die plumpe Darstellung der Leinwandakteure nun lachen, oder die nackte Haut, die straffen Körper anregend finden sollten. Es gab diese Momente, wenn einem der Schauder über den Rücken lief, da das Gezeigte gerade die eigene Vorstellungskraft sprengte. Und es gab sie, die schönen Leiber auf der Leinwand. Die Augenblicke, die gekonnt täuschen, weil sie den körperlichen Exzess als illuminierten Moment der Lust verkaufen . Doch das Elementare vorweg: Das Pornfilmfestival ist in seiner Konstitution alles andere als pornographisch. Tatsächlich ist es nicht mal zwingend erotisch. Warum auch. Vielmehr richtete sich das diesjährige Programm in seiner Ausdifferenzierung an ein breites Publikum und hielt neben pornografischen Mainstreamproduktionen, Kurzfilmen, komödiantischen Arbeiten und Dokumentationen vor allem Überraschungen im subversiven Bereich bereit. Schon der EröffnungsfilmModern Love is automatic“ entpuppte sich als eine gekonnte Annäherung an ein pornografisch „ungeübtes“ Publikum.

Ein Traum in Latex

Modern Love is automatic““ von Zach Clark ist weder eine erotische Fantasie, noch wird hier explizit Fleisch dargeboten. Es ist zuerst einmal ein Spielfilm, witzig und gut erzählt, der sich auf unterschiedlichen Ebenen bewegt. Einerseits erzählt er die komische, gar absurde Geschichte einer Krankenschwester, die sich zur Domina wandelt. Also ein Extrem sucht und dadurch die Alltäglichkeit und den Reiz des individuell Normalen wiederentdeckt. Zum Anderen präsentiert sich dieser Ausbruch ebenso als Flucht aus einer gesicherten, leblosen und negativen Wirklichkeit, dem Spiel um Macht und Sexualität. Als Domina verweigert Lorraine, so ihr Name, sich den Gesetzmäßigkeiten ihrer Umwelt, baut sich zugleich einen Schutzraum, der ihr die Differenzierung von der Tristesse, der alltäglichen Uniformität gewährt. Clarks Spiegelung der gesellschaftlichen Perspektiven – die Domina als Normalität, der Alltag als extremer Moment, also die Umkehrung von Egalität und Individualität – ist eine lakonische, feinsinnige, mitunter auch laute Ode an die Teilhabe an der Gesellschaft.

Variation der Medusa

Variation der Medusa

Meat„, von Maartje Seyferth und Victor Nieuwenhuijs, ist ein surreal anmutender Thriller, der die Verkettung von Körper, Fleisch und Sex beleuchtet. Handlungsort ist eine heruntergekommene Fleischerei, in der sich ein altender Fleischer an seine junge Angestellte heranmacht. Frustriert von seiner Ehe, bringt er sich schließlich um. Die junge Frau gerät unter Mordverdacht und ins Visier der Polizei. Das Interesse am Handlungsverlauf spielt hier im Grunde kaum eine Rolle, gerade weil der Film den Zuschauer letztendlich ohne klare Auflösung in den Abspann entlässt. Spannend ist dagegen die Bildästhetik, mit der das niederländische Regisseuren-Duo Maartje Seyferth und Victor Nieuwenhuijs arbeitet. Lange Kamera-Einstellungen fangen minutiös die Arbeit in der Fleischerei ein, man meint sogar den metallischen Geruch von totem Fleisch zu riechen. Dazu Großaufnahmen der sexuellen Gesten und ekelerregenden Annäherungsversuche des Fleischers, der seiner Angestellten schmatzend und geifernd Anzüglichkeiten ins Ohr flüstert um sich dann ganz banal eine Bulette in den Mund zu schieben. Fleisch, das ist hier der Mensch in seiner verschmutzten Bestimmtheit des Christentums. Deren behauptete Unreinheit der Sexualität findet in diesem Raum ihre bildliche Entsprechung im Alltag des Fleischers – dem Zerhacken, Mahlen und Kuttern von Körperteilen.

1 2 3