Unknown Pleasures #3 Festivalbericht
Amerikanisches Independentkino zwischen Mummenschanz und „Cinema vérité“
Ausverkaufter Saal am Abschlussabend von unknown pleasures #3 zum Thom Andersen Special „L.A. Plays Itself„. Überhaupt gab es in diesem Jahr einen bemerkenswerten Zuwachs an Zuschauerzahlen. Im 3. Jahr scheint die das Festival des amerikanischen Independentkinos, sein festes Publikum gefunden zu haben. Mit einer geschickten Filmauswahl zeigte Kurator Hannes Brühwiler 2011 eine kluge Mischung an Independentproduktionen, die sich häufig zwischen Dokumentation und Fiktion, zwischen Täusschung und Realität bewegten. Am radikalsten kokettierte vielleicht Casey Afflecks und Joaquin Phoenix’ Mockumentary „I’m Still Here“ mit diesem schmalen Grat. Leslie Felperin (Variety) nannte es „die wohl längste und öffentlichste Art-Performance eines Prominenten, die es je gab.“
Als Joaquin Phoenix 2008 nach Beendigung des Filmes „Two Lovers“ das Aus seiner Schauspielkarriere bekannt gab, um eine Hip-Hop-Karriere zu starten, war niemand sicher, wie ernst seine Absichten waren. Schon vor ihm hatten Schauspieler, wie Mickey Rourke, das schauspielerische Terrain verlassen, um in einer zweiten Karriere – in diesem Fall eine Boxkarriere – ihrem eigentlichen Ich zu folgen. Bei Phoenix glaubten viele an einen publicityträchtigen Schwindel. Skeptische Reporter, die sein Vorhaben versuchten als Scherz zu entlarven, wurden mit Fragen wie „Wollen Sie damit sagen, mein Leben sei ein Witz?“ verunsichert. Bizarre Live-Auftritte bei David Letterman oder in Nachclubs wie dem Lavo machten schließlich allen glauben, Phoenix stecke vielleicht tatsächlich in einer Identitätskrise. Von einem Schwindel keine Spur mehr. Und doch war es wohl beides, ein abgekartetes Spiel und ein bisschen Joaquin Phoenix, „as a product of his ambition„, wie es ein unbekannter vlogger in „I´m Still Here“ nennt.
„Elliptisch“ sei die Beziehung zwischen Wirklichkeit und Fabelei im Film, hätte Casey Affleck in Venedig behauptet, berichtet Leslie Felperin. Sind P. Diddy, Ben Stiller oder Letterman sogar Komplizen in diesem Spiel? Wahr ist vermutlich, dass sich Phoenix zwischendurch immer wieder in sich selbst verliert, vielleicht wohl wissend um die eigene Narrenfreiheit seiner Rolle und den Schutz der Kamera. In den Box Office Zahlen schlug sich der gigantische PR-Gag allerdings mit weniger als einer halben Million (408,983 US $) Einspielergebnis bislang eher mittelmäßig nieder.
Filmemacher wie Matthew Porterfield („Putty Hill„, „Hamilton„), Alejandro Adams („Canary„), Kentucker Audley („Open Five„) oder Thom Andersen („L.A. Plays Itself„) inszenieren ihre Filme mit weniger Pomp. Sie ergründen das `Reale´ im Fiktiven zwischen „Cinema vértité“ und „Direct Cinema“. In einer Synthese aus epischem Realismus und klassischer Dokumentationsform wie dem Interview, sucht Matthew Porterfield in seinen Filmen das Authentische in der Vorstadtödnis Amerikas. „Putty Hill“ und „Hamilton“ sind Milieustudien, die das Psychogram einer am Rand lebenden Arbeitergesellschaft abbilden. Porterfield zeigt Menschen, die an der Tristesse ihres bedeutungslosen Alltags ersticken, wo Trauerfeiern in Karaokebars im Kreis fremder Vertrauter stattfinden und junge, arbeitslose Väter Paintball spielend durch Wälder wildern. Der Trivialität als Schauwert von Wirklichkeit stehen improvisierte Dialoge und präzise Beobachtungen menschlichen Verhaltens, wie im Mumblecoremovie „Open Five“ oder „Canary„, einem anderen Microbudgetfilm im unknown pleasures Programm, gegenüber.
Anders als Francis Ford Coppola, der mit „Tetro“ (Eröffnungsfilm des Festivals) ein beinahe „theatrales Produkt“ entwickelt, in dem er Protagonisten wie Konflikte „bis zur letzten Szene programmiert und beherrscht“ (Martin Daßinnies), lassen Kentucker Audley und Aljandro Adams ihre Figuren frei. In ihrem improvisierten Spiel enthüllt sich eine spröde Wirklichkeit, die in Methode und Stil an die „Berliner Schule“ erinnert. Das Echte, das Authentische entblößt sich in präzisen Beobachtungen, in denen sich Gesellschaft im Kleinen spiegelt. Thom Andersen führte das Spiel um Wahrheit und Fiktion mit seinem Filmessay „L.A. Plays Itself“ schließlich ad absurdum. Im Film, der gleichzeitig Hommage und Satire ist, formuliert Andersen seinen irrsinnigen Anspruch auf ein echtes Abbild seiner Heimatstadt, der Filmmetropole Los Angeles, im Film. Mit süffisantem Ton demaskiert er Hollywoods prahlerische und groteske Inszenierungen und beschreibt das ‚wahre’ Gesicht der Schauplätze in L.A. und deren Geschichten.
Harmony Korine treibt diesen Authentizitätsanspruch mit „Trash Humpers“ dialektisch auf die Spitze. Ein aus VHS-Fragmenten bestehendes Vorstadt-Snuff-Video, das als Rentner maskierten Personen folgt, die in norm- und sinnbefreiter Anarchie geil auf Müll sind und albtraumartig und gesetzlos durch ihren Vorort ziehen. Korines Zynismus ist kaum zu überbieten. Im ferngesteuerten Medienzirkus, in dem Glaubwürdigkeit von Unglaubwürdigkeit kaum zu unterscheiden ist, sucht das amerikanische Independentkino offenbar nach Wegen, persönliche Wahrheiten sichtbar zu machen. Vielleicht um zu berühren, oder um ein bisschen Licht in unsere Höhle voller Schatten zu werfen. Einige Filmemacher bedienen sich dabei klassischer Methoden, während andere die Welt zum Narren halten, um ihr mittels der Groteske den Spiegel zu zeigen. Manchmal muss man „sich erst verkleiden, um die Welt zu demaskieren.“ (Günter Wallraff)
Susanne Teichmann