Das Kino lebt – „Cinema Jenin“ bei der Berlinale


Foto: Joachim Kurz

Foto: Joachim Kurz

Marcus Vetters und Leon Gellers Dokumentarfilm „Das Herz von Jenin“  hat viel erreicht. Und das bezieht sich nicht allein auf die reinen Zuschauerzahlen und den Deutschen Filmpreis für den Besten Dokumentarfilm. Der Film hat auch buchstäblich Spuren hinterlassen – sowohl bei Marcus Vetter als auch in Jenin selbst. Er habe, so der Regisseur beim Pressgespräch während der Berlinale in den Hackeschen Höfen, es stets bedauert, dass man als Dokumentarfilmer nach Abschluss eines Projektes beinahe zwangsläufig nicht mehr so viel mitbekomme, wie es mit den Protagonisten weitergehe. Im Falle von „Das Herz von Jenin“ kam es aber ganz anders.

Gemeinsam mit Ismael Khatib, dessen Geschichte die Grundlage für den Film bildete, und anderen Menschen in Jenin initiierte Vetter den Wiederaufbau des früheren Kinos von Jenin als kultureller Begegnungsstätte. Was zunächst einfach klingt, ist im besetzten Westjordanland in Mammutunternehmen mit tausend Hindernissen, das unglaublich viel Energie beansprucht. Allein das Heranschaffen von Material in das besetzte Gebiet erweist sich dabei als eine logistische Meisterleistung, die viel Zeit und Nerven erfordert.

Mittlerweile hat nicht nur das Kino, als eines der wenigen im Westjordanland, dank zahlreicher Spenden und vieler freiwilliger Helfer seinen Betrieb wieder aufgenommen. Es ist auch zu einer Brutstätte einer Bewegung geworden, die Erstaunliches leistet. Und das bezieht sich nicht nur auf das Kino selbst, das unter widrigsten Umständen betrieben wird, sondern auch auf zahlreiche Projekte, die im Umfeld des Kinos von Jenin entstehen. Die sichtbarsten Zeichen des neu erwachten Geistes von Jenin sind ganz konkret zwei Filme, die die deutschen Kinos erreihen werden. „After the Silence“ von Jule Ott, Stephanie Bürger und Manal Abdallah erzählt die Geschichte einer Aussöhnung. Am 31. März 2002 sprengte der Jenin stammende Selbstmordattentäter Shadi Tobassi sich selbst in einem Restaurant in Haifa in die Luft und riss 15 Menschen mit in den Tod. Unter den Opfern war auch Dov Chernobroda. Der Film begleitet dessen Witwe auf einem ungewöhnlichen Weg der Trauerarbeit – nach vielen Anläufen geht sie auf die Familie des Mörders ihres Mannes zu und reicht ihnen die Hand.

Der zweite Film stammt von Marcus Vetter selbst, dem das „Cinema Jenin“-Projekt eine echte Herzensangelegenheit und Lebensaufgabe geworden ist. In „Cinema Jenin: A Symphony“ hat er den steinigen Weg von der Idee bis zur Wiedereröffnung des Kinos mit der Kamera begleitet und zeigt dabei die ungebrochene Vitalität, Herzlichkeit und auch den Humor den Einwohner von Jenin – jener Menschen also, die in den Nachrichten oft den Eindruck erwecken, als seien sie allesamt Fanatiker und potenzielle Terroristen. Nicht nur der Blickwinkel des Films ist ungewöhnlich, bemerkenswert ist auch die musikalische Begleitung: Komponiert und bei der Uraufführung live eingespielt wird die Musik zu „Cinema Jenin: A Symphony“ von den Dresdner Sinfonikern, die neben deutschen auch israelische und palästinensische Musiker umfassen werden.

Es ist leicht geworden, über das Kino zu lamentieren, über seine angeblich schwindende Bedeutung, über seine möglicherweise schwindende Relevanz und über vieles andere – gerade auf der Berlinale, bei der es anscheinend Filme im Überfluss zu geben scheint und bei der man schnell einmal dazu neigt, vieles zu verdammen. Dass das Kino, so wie wir es kennen und nur allzu gerne kritisieren, wahrhaftig keine Selbstverständlichkeit ist und dass es manchmal ganz konkrete Anstöße geben kann, das zeigt das Projekt „Cinema Jenin“ auf eindrucksvollen Weise.

Weitere Informationen zum „Cinema Jenin“ finden sich auf der Website des Projekts www.cinemajenin.org

Gastbeitrag von Joachim Kurz; www.kino-zeit.de