Festivalbericht: Directors Lounge 2011


Filmszene: "Uso Justo"

Filmszene: "Uso Justo"

Gedanken zum Film

Zu groß, zu klein oder völlig falsch abgesteckt – das Problem eines Festivals wird wohl immer der des Rahmens sein. Veranstalten ist halt eben mehr, als nur irgendeinen Raum zur Verfügung zu stellen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es beachtlich, dass der Künstler als Subjekt modellhaft agiert. Er ist bereit alles zu geben und seine Integrität für ein wenig Aufmerksamkeit zu opfern, derweil muss er sich als experimenteller Filmschaffender biegen, um wenigstens in der Begrifflichkeit Hochkultur seinen Platz zu finden. Das wiederum produziert vorgeprägte Ausdrucksweisen und überkommene Vorstellungen: kurz Klischees.

Und ein wenig klischeebehaftet war das Ambiente in der Galerie Meinblau dann doch: sterile weiße Wände, projektierte Bilder hier und dort, ja die Flyer mit den abstrakten Zeichnungen durften selbstredend auch nicht fehlen. Mit geringfügiger Verspätung wurde gegen halb zehn die Directors Lounge am 10. Februar offiziell eröffnet. Es folgten zwei Blöcke zu je 70 Minuten Filmgut, unterbrochen von einer Band mit dem Namen Der Chaos der Tage. Coleman Millers „Uso Justo“ war eindeutig der Gewinner des ersten Abends. Die letzten Jahre zeichnet sich ein Trend ab, bereits vorhandene Filme mit neuen Untertiteln oder gar einer völlig neuen Tonspur zu versehen. Die Spannbreite reicht vom 80er-Jahre Videoclip der Marke „besonders peinlich“ bis zur Neuvertonung von „Herr der Ringe„. Diese „Mash-Ups“ gibt es seit Mitte der 1990er Jahre, zumeist Videoclips. Damals mixte Mark Gunderson Public Enemy mit Herb Alpert und nannte das Stück „The Wipped Cream Mixes„. Als gute zehn Jahre später drei ehemalige PayPal – Mitarbeiter YouTube aus der Taufe hoben und die Bildbearbeitungssoftware Final Cut Pro studiotaugliche Ergebnisse hervorbrachte, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich Kreative fanden, die bereits vorhandenes Material rekontextualisieren.

Im Fall von „Uso Justo“ wird ein mexikanisches Krankenhaus-Melodram mit völlig neuen Untertiteln versehen. Es geht im wesentlichen um die Stereotypen eines experimentellen Films: Wie viel Narration ist erlaubt oder erwünscht? Wie viel verfremdende Elemente pro Minute sollten es sein? Für wie viel Verwirrung muss der Score des Filmes sorgen? Letztlich: Was kann ich tun, damit möglichst wenige Zuschauer applaudieren? Um es kurz zu machen: gar nichts. Oder mit den Worten von Chris Cutler: „The avantgarde is dead„, denn im Moment ihrer Klassifizierung kam die Avantgarde zum Stillstand.

Das Publikum hat gelernt, unter fast allen Umständen höflich zu applaudieren, solange ihr Wohlwollen einem modischen Konsens entspricht und es nach der Vorführung etwas zu essen und zu trinken gibt. Darüber könnte man jetzt verzweifeln oder man strebt das Zweitbeste an und versucht einen sehr guten Film auf die Beine zu stellen. „Uso Justo„, grob übersetzt „der einzige Weg“, zeigt, dass das geht. Er ist nicht so bösartig und beißend wie seiner Zeit Terry Zwigoffs „Artschool Confidential“ oder so klamaukig wie Jonathan Parkers Untitled“ und erfüllt im Gegensatz zu den beiden tatsächlich die Kategorien eines experimentellen Films.

Filmszene: "What I remember"

Filmszene: "What I remember"

Am zweiten Abend lag der Schwerpunkt bei den Kurzfilmen. Größtenteils loteten die einzelnen Beiträge den Zusammenhang zwischen Bild und Ton aus. Der erste unserer fünf Sinne, dessen wir uns bewusst werden, ist der des Hörens. So etwa 4,5 Monate nachdem wir gezeugt wurden. Erst während der Geburt erwachen unsere anderen vier. Eine der ersten überwältigenden Erfahrungen eines Neugeborenen ist die der Stille. Im Verlauf unseres späteren Lebens lernen, wir die Abstinenz von Klängen zu akzeptieren und bis zu einem gewissen Grad zu dulden. Jedoch sind sie für einen Neugeborenen schmerzend und, auch wenn er diese Wörter noch nicht artikulieren kann, muss er wohl eine erste Vorstellung vom Nicht-Sein und dem Tod haben. Im Radio ist eine Pause die länger als zwei Herzschläge währt, Tabu. Im Film kann die Stille ein wirkungsvolles Element sein. Eine weitere folgenschwere Erfahrung, die ein Säugling macht, ist die der Synchronisation. Die Mutter spricht und ihre Lippen bewegen sich. Man klatscht in die Hände und hört das entsprechende Geräusch. Die Erkenntnis, dass es eine Welt außerhalb des Selbst gibt und dass ich zu diesem Außerhalb im Bezug stehe, ist wohl ein welterschütterndes Erlebnis.

Für den Film als Medium bedeutet es, dass ich, durch die Asynchronität dieser beiden Sinneseindrücke, Gefühlsregungen des Unwohlseins, der Skepsis und des Schauderns erzeuge. Das bekannteste Beispiel in der jüngeren Filmgeschichte dürfte wohl die Bar -Szene in David Lynchs „Lost Highway“ sein. An diesem Abend stach besonders James George mit „What I remember“ ins Auge. Die Kamera wurde hier neben ein Fahrradlicht montiert und der so entstehende Bilderstrom, ein deutlicher Verweis auf die Überstimulation im urbanen Raum, ergießt sich wie ein Eimer Farbe über den Zuschauer. Synchronisiert wurde dieser Eimer mit Postrock der Band Endless Endless Endless. Die Pointe daran ist: Die einzigen Impressionen, die sich zu Bildern extrahieren ließen, waren Momentaufnahmen des Schocks oder des plötzlichen Wechsels. Ein weiterer Höhepunkt war Sean Stoops´  „Muralmorphosis„:  Die Graffiti-Art feiert hier ein Stell-Dich-Ein mit dem Daumenkino.

Beide eint ihr Charakter der Vergänglichkeit. So fanden Daumenkinos größtenteils als Werbegeschenke ein Publikum, dabei muss man rückblickend konstatieren, dass es sich wohl um eine der ersten Formen multimedialer Interaktion handelt. Denn als nächste Artverwandte kommen erst der Film und dann die Gif-Animation in Frage. In diesem Fall dreht es sich um einen riesigen violetten Fisch und seine Abenteuer mit Ufos. Standbild für Standbild wurde eine Wand komplett neu mit Farbe eingedeckt, bis am Ende diese zwei Minuten kurzweiliges Trashkino standen. Von der Art der Inszenierung her völlig neu und tatsächlich einmalig und so waren zwei Minuten Stille die einzig angebrachte musikalische Untermalung.

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