Speck: Wir haben ein Publikum für bestimmte Filme kreiert
Interview zur 61. Berlinale mit Wieland Speck, Leiter der Sektion Panorama
Im zweiten Teil unseres Berlinale-Gesprächs mit Wieland Speck, den Sektionsleiter des Panorama, erfahrt ihr mehr darüber, wie Speck in seinen dreißig Jahren beim Panorama das Festival beeinflusst hat, wie er am Puls der Zeit bleibt, über die Rolle von Filmfestivals und „seinen“ Teddy Award.
Womit wir beim persönlichen Geschmack, der Handschrift wären. Ihrem Geschmack. Schließlich sind Sie seit 1982 dabei und erleben…
Speck: … meine dreißigste Berlinale. Eine Handschrift funktioniert nur im Austausch mit dem Publikum. Ich muss mich jedes Jahr wieder beweisen. Wegen diesem Effekt kann ich das auch so lange machen. Ich hätte im Leben nicht gedacht irgendwas so lange zu machen. Ich war Filmemacher und Kinomacher, das ist von hinten bis vorne mein Thema, aber das Festival hat schon mein Leben übernommen. Von daher muss ich darin sehr viel Kreativität verspüren, um damit zufrieden zu sein. Das funktioniert immer an der Stelle, wenn es im Festival funktioniert.
Aber Sie haben sich Ihr Publikum mit den Jahren schon erzogen, oder?
Speck: Erzogen würde ich nicht sagen. Wir haben ein Publikum für bestimmte Filme kreiert. Das ist sicher auch eine Aufgabe von uns. Ich versuche jede Generation zu kriegen. So hat sich auch der Dauer-Schwerpunkt Schwullesbisches Kino verändert. Wir machen keine Filme, sondern wählen nur aus. Der Zeitgeist formuliert sich in unserem Programm.
Fällt es schwer dem Zeitgeist zu folgen?
Speck: Das würde ich wohl erst so sehen, wenn es mal richtig nicht klappen würde.
Wenn ein Graben entstünde?
Speck: Ja, wenn ich denken würde, was ein tolles Programm, das aber nicht laufen würde. In gewisser Weise ist damit zu rechnen, dass das irgendwann passiert. Ich bin da aufmerksam. Würde das passieren, bin ich schnell weg. Da hätte ich keine Lust mehr. Ich habe den Weitblick nicht zu sagen: Das haben die vor zwanzig Jahren doch schon gemacht. Jede Generation muss sich neu erfinden. Dieser dynamische Teil findet in unserem Programm statt. Diese typische da-wird-jemand-alt-Arroganz hatten wir schon. Mit dieser Haltung kommt man nicht weit. Ich erwarte mit Neugierde, was die neue Generation erfindet, wie sie einen überrascht.
Wie würden Sie den deutschen Kunstfilm im Panorama-Kontext einschätzen?
Speck: Wir haben in Deutschland erst Mitte der Neunziger wieder ein Publikum erobert. Wir sind an einer Stelle angelangt, die eine etablierte Infrastruktur zur Verfügung hat, die ein routiniertes Arbeiten ermöglicht. Das ist wichtig um eine stabile Filmwirtschaft zu haben. Dass die nur dank Förderung stabil bleibt, ist klar. Da fließen Millionen aus der Filmwirtschaft rein, die sich so selber immer wieder herstellt. Ein sehr schlaues Syndrom. Es führt zu einem weiten Feld, mit Routine, Industriellem und Jungen, die mit wenig Mitteln Interessantes herstellen will. An der Stelle seien „Romeos“ und „Über uns das All“ von Schomburg genannt. Beide Neulinge im Programm. Beide stark und mit wenig Mitteln, aber viel Kraft erschaffen.
In England wurde die dortige Filmförderung eingestellt, das UK Film Council geschlossen. Müssen sich deutsche Filmemacher auch um ihre Förderer sorgen?
Speck: Die Engländer lieben es ihre Apparate zu weit aufzublähen. Das ist eine englische Spezialität. Da werden ständig Köpfe abgeschlagen, sodass die immer wieder mit sich selbst beschäftigt sind. Da sieht es in Deutschland besser aus. Es ist aber sicher nicht falsch, einem Apparat, der sich zu einer Verwaltung in Bundesbankgröße hinaufarbeitet, den Stecker zu ziehen und eine Veränderung einzuläuten. Was ich höre, fließen deshalb bei den Filmschaffenden dort auch keine Tränenströme. Die Entwicklung bleibt abzuwarten.
Verändert sich die Funktion von Filmfestivals, wenn – wie Anfangs schon festgestellt, Filme weniger Zeit in immer weniger Kinos bekommen. Ist Berlin mit seinen über 60 Filmfestivals da im Vorteil?
Speck: Filmfestivals, nicht unseres, aber die ein, zwei Kategorien darunter, haben mittlerweile einen Auswertungscharakter. Viele Filme finden nur noch über Festivals zum Zuschauer. Das ist ein Trend der letzten Jahre. Die Festivals müssen erkennen, wo sie sich bewegen und diese Herausforderung positiv annehmen. Kleine Filmfestivals müssen häufig schon für Filme zahlen, was ich gut finde, da die Macher so begreifen, dass ihre Festivals Filme auswerten. Festivals, die das begreifen, werden wichtiger. Hobby-Festivals werden schwächer werden. Eine Professionalisierung, die mit Kino-machen zu tun hat. Festivals werden zu Kinomachern und Verleihern. Deshalb macht es Sinn, wenn sich Festivals ähnlicher Ausrichtung und Größe zusammentun und gemeinsam reisen. Wir haben das damals schon bei den schwullesbischen Filmfestivals angeregt, um Transportkosten zu sparen, die heute mit den DVDs eine kleinere Rolle spielen. So zeigten queere Festivals in Saarbrücken, Würzburg und Bremen das zu 80 Prozent gleiche Programm und ergänzten die restlichen Anteile mit einer persönlichen Note. Diese Art der Auswertung hat sehr gut funktioniert.
Teil des Panoramas ist, dass die Regisseure da sind und sich im Anschluss an den Film dem Publikum – und nicht nur der Presse, wie im Wettbewerb – stellen. Macht das ein Festival letztendlich aus?
Speck: Wir sind ein Premieren-Festival. Die meisten Regisseure haben nur sehr wenig Erfahrung mit Publikum und sind sehr aufgeregt. Häufig haben sie dazu noch ihr Team dabei, das den Film noch nicht gesehen hat. So ist sowohl auf der Bühne, als auch davor der Adrenalinspiegel sehr hoch. Bei uns gehen viele den ersten Schritt ins Publikum, in den Markt. Wir arbeiten sehr eng mit dem Filmmarkt zusammen, der in den 80er-Jahren aus uns heraus entstand, um unseren Filmen einen besseren Stand in der Welt zu ermöglichen. Das unterscheidet den Berliner Markt mit seinen 600 Filmen jährlich von anderen Märkten, er steht für einen anderen Qualitätsstandard. Eine Qualitätsmarke, die Frau Probst vom Markt und wir erhalten wollen.
Beim Panorama hat das Publikum die Möglichkeit einen Preis zu vergeben. Wie oft überrascht Sie deren Wahl?
Speck: Bisher hat sie mich noch fast jedes Mal überrascht. Allein, dass schon so oft ein Dokumentarfilm gegen Spielfilme gewonnen hat, halte ich für typisch Berlin. Unsere Dokumentarfilme widmen sich eher politischen Themen. Da tat mir in den letzten Jahren der Spielfilm fast ein wenig Leid. Er war benachteiligt, weil das Publikum bei extrem engagierenden Themen häufiger die Höchstwertung vergibt, als bei den Spielfilmen, wo mehrere Stufen an Kritik ansetzen. Jetzt vergeben wir erstmals zwei Publikumspreise: Einen für den Spiel- und einen für den Dokumentarfilm – und zeigen auch beide Gewinner-Filme am Publikumstag.
Der Teddy-Award feiert sein Jubiläum in diesem Jahr…
Speck: Kein Jahr ohne Jubiläum. Der Teddy wird 25. Das ist toll, weil ich ihn mit-initiiert und von Anfang an gemacht habe. Ein Preis, der seit dem letzten Jahr in Cannes und seit vier oder fünf Jahren in Venedig kopiert wird. Ich fördere die Kollegen dort. Es ist typisch für Berlin, dass hier so was möglich war und er hier so eine Größe erreichen konnte. Dass die Hälfte des Publikums aus nicht-queeren Leuten besteht, die sich freuen, eine queere Sache bejubeln zu können, ohne sich politisch verhalten zu müssen. Es ist eine Veranstaltung, die Altersgruppen und verschiedene queere Gruppen zusammenbringt. Du hast junge Schwule, alte Schwule, Transen, Lesben… eine Mischung, die du auf keiner Party findest, da die Szene immer bemüht ist sich zu separieren. Mit der Arte-Ausstrahlung nach ganz Europa ist eigentlich erreicht, was man Anfangs erreichen wollte: Eine größere Aufmerksamkeit für schwullesbische Filme. Derzeit freuen wir uns, dass sich der Teddy-Gewinner aus dem letzten Wettbewerb „The Kids Are Allright“ um den Oscar bewirbt. Das sind schöne Zeichen, auch wenn es nicht heißt, dass man etwas erreicht hätte. Aber es zeigt, dass das was man tut, eine Rolle spielt.
Schmeichelt es Ihnen eine persönliche Spur im internationalen Film zu sehen?
Speck: Klar. Ich bin jetzt schon wesentlich älter, als ich je glaubte zu werden und ich mache diese Arbeit schon viel länger, als ich jemals glaubte diese Arbeit zu tun, von daher ist es schön die Konsequenzen seines Tuns ablesen zu können. Es lohnt sich hartnäckig zu sein.
Die Fragen stellte Denis Demmerle