Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im April 2011
Schäfer zu Andres Veiel: Schöne Grüße von Gerd Conradt.
Andres Veiel: Wir haben gestern über sein neues Projekt gesprochen.
Schäfer: Über die Mauerstafette weißt du Bescheid?
Veiel: Nein, davon hat er mir nichts erzählt.
Schäfer: Seine Mauerstafette findet das ganze Jahr über statt. Es geht um den unter Denkmalschutz gestellten Mauerweg, der durch die Stadt führt. Er will den mit Läufern einmal umrunden.
Nord: Wie Tilda Swinton in „Cycling The Frame“ (1988 – von Cynthia Beatt)?
Schäfer: Genau.
Kahl: Er hat doch schon mal so einen Film gedreht, mit einer Fahne (Anm. „Farbtest-Rote Fahne“ von 1968).
Veiel: Da gab es aber vor kurzem ein Revival. Da wurde so etwas in Venedig nachgestellt.
Schäfer: Wir haben mal den alten Film gezeigt. In der Folge entstanden ganz viele neue, selbst in Hongkong und Toronto. Wo immer er war, hat er Leute laufen lassen.
Eine Dame vom Service erklärt das Konzept der Mesa-Karte. Fragen von Kahl nach der Menge. Schäfer erkundigt sich nach der Tellerzahl. Kahl erklärt: „Harzer Käsetatar, das klingt sehr gut. Das ist wohl der hessische Handkäs’ mit Musik.“. Er wird es aber nicht nehmen. Kahl: „Man muss ja aufpassen, was zueinander passt.“. Veiel: „Der Harzer erschlägt sonst den Rest“. Kahl: „Absolut“. Nord: „Wahrscheinlich riecht der auch ziemlich intensiv.“ Kahl: „Okay, abgewählt.“ Alle lachen.
Die Bestellung folgt: Kahl nimmt Käse-Wurst-Salat, Tomaten Gurken-Salat und Königsberger Klopse. Veiel wählt Blattsalat, Königsberger Klopse und verschiebt den Nachtisch auf später. Nord tendiert zum Blattsalat, Käse-Wurst-Salat und Königsberger Klopse. Schäfer erst einmal Blattsalat …
Veiel zu Kahl: Sag mir doch mal, wie du deine Schauspieler für „Bedways“ gecastet hast.
Kahl: Ich habe mir ein Jahr Zeit genommen, um die Schauspieler zu finden. Das war ein doppelter Prozess, ich musste nicht nur Schauspieler, sondern auch den Film finden. Am Anfang habe ich natürlich überlegt, wer wen spielen soll. Aber ich musste mich für den Film neu erfinden, da ich ihn anders machen und nicht mit den Schauspielern arbeiten wollte, mit denen ich sonst drehe. Man hat sonst gleich ein Bild und ein Image von denen. Also habe ich keine Castingagentur beauftragt, sondern ein Open-Casting organisiert, wo relativ schnell erklärt wurde, was die schwierigen Anforderungen des Films sind, die gemeinhin nicht von Schauspielern gefordert werden. Letztlich kam diese Zusammenstellung von Schauspielern zustande, die vorher noch nicht bekannt waren und noch nichts gedreht hatten.
Veiel: Du meinst auch in den Konstellationen …
Kahl: Genau. Das war ganz wichtig. Sie mussten nicht nur zu Film und Buch, sondern auch zueinander passen. Der Film ist eigentlich „by the way“ entstanden. Aber trotzdem waren es drei Jahre, die ich an „Bedways“ gearbeitet habe.
Veiel zu Schäfer: Lief der Film denn bei dir?
Schäfer: Natürlich. Wir kennen uns nun auch schon eine ganze Weile. Der ist auch bei achtung berlin sehr gut gelaufen.
Veiel zu Nord: Habt ihr da nicht eine Medienpartnerschaft?
Nord: Das weiß ich gar nicht genau. Ich halte mich von den Medienpartnerschaften fern. Redaktion und Marketing sind streng voneinander getrennt.
Schäfer: Bei der taz ist es immer schwierig etwas unter zu bringen. (Alle lachen) Nein, letztes Jahr war es wirklich sehr gut. Ihr hattet einen sehr schönen Artikel zu „Saturn Returns“ und über „Lychener Straße“ gab es auch etwas.
Nord: Ich mache was zu „Kleinstheim“ (Regie: Stefan Kolbe) Das passt auch gut zu Thomas Heise, der einen neuen Film hat. Die beiden verstehen sich auch ein bisschen als „alte Schule“. Soweit ich weiß gibt es da eine gewisse Kontinuität. Ich weiß nicht, ob achtung berlin „Das Block“ auch gezeigt hat. Ich habe ihn in Nyon gesehen. Das ist eine Dokumentation über marginale Existenzen in Sachen-Anhalt. Man weiß als Zuschauer eigentlich gar nicht, welche Positionen der Film hat. Führt er die vor? Bei „Kleinstheim “ ist das ganz anders.
Schäfer: Es gibt ein paar Situationen, da wandelt er auf ganz dünnem Eis.
Nord: Da wird es spannend. Die gehen aber nie soweit, dass sie einkrachen.
Schäfer: Im Film geht es um Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen, die in der Magdeburger Börde auf einem betreuten Hof wohnen. Das ist ein sehr spannender Dokumentarfilm.
Nord: Das ist Stefan Kolbes dritter Film. Sehr bemerkenswert aber auch kontrovers.
Veiel: Warum kontrovers?
Nord: Ich weiß nicht ob du von „Das Block“ gehört hast, da geht es um sehr verlorene Gestalten. Zum Teil Leute, die nicht mehr ganz bei Sinnen sind. Der Film folgt diesen Menschen, erklärt aber überhaupt nichts und lässt sie auch zum Teil in ihrem Delirium allein. Beim Zuschauen wusste man nicht genau, ob die nicht vorgeführt werden und was überhaupt die Position des Films ist. In Nyon war es der Film, über den alle gesprochen haben und sich darüber aufregten. Allein weil das so war, merkte man, da ist ein großes Potential.
Schäfer: Dieser ist sehr persönlich. Früher gab es beim Dokumentarfilm eine Schule, heute ist das sehr viel offener. Es gibt Filme, die versuchen eine ganz starke objektive Sichtweise einzuhalten …
Veiel: Persönlich durch den Blick oder den Kommentar oder wie sie die Kinder einbinden?
Nord: Persönlich heißt einfach nah dran. Ohne eine Scheu vor emotionalen Momenten.
Veiel: Werden die dann inszeniert? Wird im Sinne von „Das brauchen wir jetzt für den Film“ nachgeholfen?
Nord: Eben das nicht. Ich würde nicht sagen, wir sehen jetzt eine Zwölfjährige, die anfängt zu weinen, weil Emotionen ausgelöst werden sollen. Es gehört vielmehr zu ihrer Existenz. Insofern sind es keine Tränen, die dazu dienen, dass bei mir auf die Gefühlstube gedrückt wird, sondern Tränen, die aus der Situation heraus entstehen. Inwiefern die Situation inszeniert ist oder nicht, also inwiefern da vorher manipulativ gefragt wurde, kann ich nicht sagen. Ich kann nur sagen, im Resultat wird die Würde der Menschen gewahrt.