Festivalbericht 2011 – Pop ist betrügende Geschichte


Filmszene: "Music from the Moon"

Filmszene: "Music from the Moon"

Musikalische Früherziehung

Wir bleiben im hohen Norden: Island. Die kleine Insel im Nordatlantik mit den milden Wintern und kühlen Sommern war bereits Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Weg zu einer einflussreichen Mittelsmacht, als 1875 der Vulkan Askja ausbrach und die Wirtschaft darauf hin kollabierte. Das führte dazu, dass 20 Prozent der isländischen Bevölkerung in die USA und Kanada immigrierte. Baute die isländische Wirtschaft darauf hin auf der Fischerei auf, so wurde im letzten halben Jahrhundert in einen Rohstoff investiert, der tagespolitisch in jedem zweiten Satz auftaucht: Bildung. Christian Hunds Dokumentation „Music from the Moon“ begleitet die Macher einer Puppenshow über den Mann im Mond in ein Land, wo laut des Filmes jeder Musiker im Schnitt fünf eigene Bands hat. Dabei ist dieses Ensemble zwar titelgebend, aber doch nur einer der vielen Protagonisten, die dem Wort Bildung mehr als nur Negativfolien abgewinnen. Musik ist, historisch gesehen, immer der Bereich gewesen, der anderen Bildungsschwerpunkten eine Nasenlänge voraus war.

Der Musikunterricht, den die öffentlichen Schulen dort offerieren, kann nur als exzellent bezeichnet werden. Neben den regulären drei Wochenstunden kommen noch Bandaktivitäten und Privatunterricht dazu. Dabei wird der anglizistische Standard einer Imageentwicklung an die allerletzte Stelle gesetzt. Man merkt den Interviews an, dass hier kein Coach die Sprache schliff. Die Kleidung bekleidet, produziert oder bewirbt aber keine Marken. Gute Musik spricht eben für sich. Deswegen sind die isländischen Musiker professionell und phlegmatisch, provinziell aber neugierig zu gleich. Vom Schnitt her wirkt dieser Film wie eine Auftragsarbeit des Senders Arte und zugleich als eine Danksagung an die ehemalige Präsidentin Vigdis Finnbogadottir, ohne die Musiker wie Björk oder Sigur Ros niemals so erfolgreich geworden wären. So steht die Richtung einer fortlaufenden Bewegung des Theaterensembles durch die Städte und Landschaften in Gleichzeitigkeit zur folgerichtigen Bildungspolitik Islands – ein Glücksgriff, sowohl für die Filmemacher, die Darsteller, Island und die Zuschauer. Ein philanthropischer Film, der ein ambitioniertes Theaterensemble nutzt, um die Vorteile einer erstrangigen musischen Erziehung aufzuzeigen.

Filmszene: "White Stripes - Under Great White Northern Lights"

Filmszene: "White Stripes - Under Great White Northern Lights"

Gewinner

Am letzten Festivaltag, Sonntag, luden die Organisatoren wieder einmal in die clubgewordene Presselounge .HBC zur Preisverleihung. Unter den 33 Filmen, darunter 14 Deutschlandpremieren, die in den fünf Tagen gezeigt worden waren, gewannen am Ende Emmett Malloys „White Stripes – Under Great White Northern Lights“ und Christian Hunds Music from the Moon„. Zog In Edit laut Veranstaltern insgsamt 2000 interessierte Besucher an, blieben davon am Ende zur Preisverleihung leider nur Pressevertreter übrig. Das lag womöglich an der eingangs erwähnten ungünstigen Kombination der Spielorte, denn während das Moviemento bodenständig in ein Kiez eingebettet liegt und mit einem sympathischen und hilfsbereiten Team aufwarten kann, wirkt das .HBC wie der Vorhof zu einem Moskauer Edelbordell. Oder eben wie eine bessere Presselounge. Das Ambiente der beiden Kinos steht also in einem diametralen Verhältnis zueinander, wie auch das Publikum. Die Filme darum in Coleur und Gehalt angemessen zu platzieren, mag die schwierigeste Aufgabe der Organisatoren gewesen sein. Letztendlich ist darin auch der größte Verlust des Festivals zu sehen, an der Auswahl der Filme gab es nichts zu mäkeln.

Joris J.

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