„Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch“ im Mai 2011


Matthias Dell und Christoph Fisser

Matthias Dell und Christoph Fisser

Dell: Wieso sind Sie in Potsdam?
Galliner: Wir sind schon seit acht Jahren in Potsdam. Nur beginnen wir in diesem Jahr auch dort. Wir haben eine Kooperation mit dem Filmmuseum Potsdam und starten dort in diesem Jahr unter anderem wegen dem Jubiläum 100 Jahre Filmstadt Potsdam.
Fisser: Da muss ich einhaken. Es gibt gar keine 100 Jahre. Es wird dieses Jahr „Potsdam 2011 – Stadt des Films“ gefeiert, weil nächstes Jahr der gute alte Fritz (Friedrich der Große) 300 Jahre alt wird und die Tourismustöpfe dicht sind. Es gibt faktisch nichts, was 1911 passiert ist. Nicht mal eine Grundsteinlegung. Einzig eine Baugenehmigung für ein Glashaus in Babelsberg wurde eingereicht. Die Kinemathek feiert im Jahr 2012 und es wurde immer an 1912 angelehnt gefeiert. Die Berlinale hat 1992 eine große 80 Jahre Babelsberg Retrospektive gefeiert – nicht 1991. Das Studio ist das älteste der Welt, was überall in der Welt anders gewürdigt wird, als in Potsdam. Natürlich wird auch die Berlinale die 100 Jahre aufnehmen. Der Geburtstag ist der 12. Februar 1912.
Galliner: Nächstes Jahr also eine große Feier in Babelsberg.

Der Service kommt an den Tisch. Nicola Galliner ordert aus den 25 Gerichten der Karte Spargel, Schnitzel und Mousse au Chocolat, Christoph Fisser schließt sich mit der identischen Bestellung zur Erheiterung der anderen an. Während noch fleißig aus der Karte gewählt wird, plaudert Fisser aus dem Nähkästchen und erzählt von den Plänen des Studios im nächsten Jahr zum Jubiläum diverse Filme, wie den „Der Totentanz“ zeigen zu wollen, vom geplanten Besuch des Bundespräsidenten und eine an die Berlinale angelehnte Filmreihe mit Streifen aus 100 Jahren Babelsberg.

Nicola Galliner

Nicola Galliner

Fisser: Wegen dieser 100 Jahre haben wir interveniert, aber ich denke, dass das Thema lokal bleibt und nicht mal in Brandenburg bis Cottbus reichen wird. Im nächsten Jahr wird es dafür wirklich Thema sein. Es wird einen Kino- und einen Fernseh-Dokumentarfilm dazu geben.
BFF: Dieter Kosslicks süffisante Kommentierung scheint garantiert…
Fisser: Dr. Rother ist da noch verärgerter. Da wurde von der Stadt Potsdam unglücklich kommuniziert. 100 Jahre Tonfilm, was nicht stimmt. 100 Jahre Bild, stimmt auch nicht. Einige Firmen in Babelsberg sind älter, von 1896. Babelsberg wurde damals ausgewählt, weil dort Raum für die notwendigen Ateliers und Glashäuser war. Irgendwann gab es einen Auftrag zig Filme mit Asta Nielsen, dem Superstar der Zeit, dort zu drehen, worauf begonnen wurde diese riesigen Glashäuser zu bauen.
BFF: Unterscheiden sich Befindlichkeiten von Verantwortlichen in Potsdam und Berlin?
Galliner: Wir eröffnen in diesem Jahr zum ersten Mal in Potsdam und ich bin ganz begeistert. Platzeck unterstützt unser Festival als Schirmherr.
Fisser: Beide Bundesländer unterstützen. Man hat viel mit Politik zu tun. Die Bedeutung von Filmfestivals wird oft unterschätzt. Natürlich beginnt das mit der Berlinale, aber betrifft eben auch die kleinen. Wenn wir rausgehen, dann eher nach Berlin oder Brandenburg, als nach Potsdam. Wir sind ein wichtiges Unternehmen für die Region, mit einem Melting-Pot anderer Firmen, wie der Ufa, die nicht da sitzen würden, wenn die Studios nicht wären. Allein im Studiobereich arbeiten 3500 Menschen. Unter Wowereit hat sich die Lage in Berlin für den Film deutlich verbessert. Generell versuchen beide Länder, in Anbetracht ihrer finanziellen Lage, alles. Das könnte immer besser und mehr sein. Man kann jedes Festival besser ausstatten.
Dell: Unterscheidet sich das Publikum in Berlin und Potsdam?
Galliner: In Berlin kommt sehr viel Stammpublikum, wovon viele mittlerweile auch nach Potsdam fahren, wenn wir dort einen Film haben, den wir in Berlin nicht zeigen. Das Programm in Potsdam ist auch deshalb ein wenig anders, weil dort die Englisch-Kenntnisse häufig nicht so gut sind. Dafür zeigen wir dort die deutschen Filme, wie in diesem Jahr „Der Passagier – Welcome To Germany“, wo wir auch Katharina Thalbach als Gast erwarten. Eines meiner schönsten Erlebnisse gab es in unserem zweiten Jahr in Potsdam, als wir einen Film über die Rosenbergs, die 1953 in den USA hingerichtet worden sind, gezeigt haben, kaum einer im Kino Arsenal wusste, wer die sind, während sie in Potsdam jeder kannte. Die waren große Helden in der DDR. Im Rest von Deutschland wurden sie vergessen.

Die erste Runde kleiner Köstlichkeiten erreicht den Tisch. Der saisonal gefragte Spargel dominiert.

Dell: Ich habe in Amerika die umgekehrte Erfahrung gemacht. In Massachusetts gibt es die DEFA-Film-Libary. Ein Doktorand von dort war für ein Jahr in Babelsberg an der HFF und wurde sehr unterschiedlich wahrgenommen. Die Lehrenden, zumeist aus dem Osten, waren erfreut, dass er sich für die Geschichte interessiert. Die Studenten, zumeist aus dem Westen wussten über die Geschichte dieses Ortes, die der amerikanische Doktorand viel besser kennt als sie, fast nichts.
Fisser: Die DEFA hatte schon große Retrospektiven im MoMA. Die Wahrnehmung ist eine andere. Wir sind anderer Meinung als Volker Schlöndorff. Da sind wichtige Filme entstanden.
Dell: Könnten Sie etwas über die Unterschiede zwischen der Schlöndorff-Zeit und heute erzählen?

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