„Utopia Ltd.“- Regisseurin Sandra Trostel im Interview


Filmszene: "Utopia Ltd."

Filmszene: "Utopia Ltd."

Trostel: Die Pressegeschichte gehört dazu. Warum wird Musik erst legitimiert durch ökonomischen Erfolg? Warum wird alles nur durch den Geldfluss gelenkt? Auch diese Fragen verarbeitet der Film. Die Musikindustrie und eben auch die Presse bauen ein Produkt auf. Jeder muss sehen, wie er seine Story bekommt. Ich will nicht sagen, dass das alles Leute sind, die Klischees bedienen. Trotzdem hat mich überrascht, wie wenig Gedanken sich manche darum machen, was sie produzieren.

Ist mit diesem Hype viel von dem vorweggenommen worden, was eine Band braucht, um sich zu entwickeln oder zu definieren?
Trostel: Die drei selbst sind oft daran gescheitert, dass sie nicht das ausdrücken konnten, was sie eigentlich wollten. Es ist ein Entwicklungsprozess. Mittlerweile sind sie 21 Jahre alt und denken heute über vieles anders. Sie haben es an einigen Stellen eben nicht auf den Punkt gebracht, weil sie es nicht konnten. Vieles ist aus einer Emotion heraus entstanden. Das ist es auch, was mich an dieser Band interessiert hat, die Emotion, die sie ausstrahlt. Eine Energie, die, wie ich finde, außergewöhnlich ist. Das sortiert sich jetzt. Sie sind noch jung. Ich wollte zeigen, dass man eben Fehler macht. Früher war es üblich zwei, drei Platten zu produzieren, um musikalisch mal irgendwo hin zu kommen. Diese Entwicklung billigt heute keiner mehr einer Band zu.

Genau damit aber kokettieren viele kleinere Musiklabels.
Trostel: Ja. Aber früher haben die großen Labels auch die kleineren gefüttert. Diese Gelder sind nicht mehr da, also kommen sie auch in den Zwang, ökonomisch zu wirtschaften. Die Gegenfinanzierung durch große Acts funktioniert heute nicht mehr.

Hat sich Ihr Blick darauf, wie Medien funktionieren, während der Dreharbeiten verändert?
Trostel: Nein. Es war wirklich so, dass ich da stand und gedacht habe: „Es ist so absurd. Es kann doch nicht wahr sein. Ihr hattet heute einen großen Artikel in einer Tageszeitung und niemand kommt zum Konzert.“ Es scheint alles nur noch in Blasen zu funktionieren.

Es wird viel Aufmerksamkeit generiert, aber dann ist der Konzertsaal fast leer. Wie erklärt man sich das?
Trostel: Ich glaube, dass viele ältere Menschen bei den Konzerten waren. Das sind dann aber leider auch diejenigen, die nicht mehr häufig ausgehen. Man fragt sich wirklich, wo die jungen Leute sind und ob sie kein Geld mehr für ein Konzert ausgeben. Ich habe mit der Band und dem ganzen Drumherum eine wahnsinnige Schnelllebigkeit erlebt, gerade unter ihren Freunden und Bekannten. YouTube läuft bei vielen den ganzen Tag. Es gibt einen großen medialen Overflow. Ich merke das selbst sehr oft. Man kann sich vielen Sachen gar nicht mehr wirklich widmen, weil es immer schon etwas Neues gibt. Es fehlt der Respekt vor den Dingen. Man macht sich nicht mehr die Mühe, Dinge richtig zu lesen, zu hören oder anzuschauen. Es ist schwierig konsequent zu sein und zu sagen: „Ich lasse das jetzt weg und gucke mir dafür aber das hier an.“ Das Problem kennt sicherlich jeder. Aber gerade junge Leute kennen es nicht mehr anderes. Sie leben auf einer Datenautobahn mit fünfmillionen Möglichkeiten, auf der alles durchgecheckt werden muss. In den Medien ist das oft nicht anders. Einer schreibt etwas und alle anderen kopieren es und springen auf den Zug auf.

Gerade in der Musik gibt es viele Medien, die behaupten Jugendkultur zu bedienen und zu kennen.
Trostel: Wo aber ist die Jugendkultur? Die Wahrheit ist, es gibt keine. Das ist eine Blase. Da ist nichts Neues. Aber die Geschwindigkeit von allem hat sich extrem erhöht. Ein Musiker hat heute eben nicht mehr die Chance, eine dritte Platte zu machen. Er ist schon vorher weg. Der Bundesvision Contest ist dafür ein gutes Beispiel. Die Band wird eingeladen, aber warum eigentlich? Anton beschreibt das sehr gut: „Wenn die uns einladen, weil sie uns einladen … okay. Aber nicht, weil wir der neue, heiße Scheiß sind.“ Ich selber kenne solche Absurditäten ebenso. Warum etwa bekomme ich eine Anfrage von SPD.de für ein Interview? Es geht hier nicht um das Interesse an meinem Film, es geht darum, dass man vor einen Karren gespannt wird. Das Interview habe ich abgelehnt.

Wollten Sie die Band von Anfang an auch mit ihren Familien zeigen?
Trostel: Ja, aber im Rahmen. Es ging mir nicht um Familienhintergründe. Das kann man in jedem Buch für Dramaturgie nachlesen. Es geht darum, an den Personen dran zu bleiben und darum ob originäre Musik überhaupt noch entstehen kann, in einer Zeit, in der alles verkäuflich sein muss. Was bedeutet Verkäuflichkeit für die Kunst? Wie kann sie unabhängig entstehen? Was ist Kunst überhaupt? Für was ist sie gut und was passiert mit unserer Gesellschaft, wenn sie nicht mehr entstehen kann? Diese Fragen muss nicht jeder im Film sehen, aber mir war es wichtig, dass es ein nicht wertender Film ist. Er zeigt einfach.

Spannend ist die Szene im Proberaum. Die Band hört das erste Mal einen ihrer abgemischten Songs, muss aber feststellen, dass er nicht funktioniert. Der Konflikt, der dort zwischen Produzent und Band ausgetragen wird, schwächt sich irgendwann ab und ist am Ende des Films nicht mehr zu sehen. Wollten sie das bewusst ausblenden?
Trostel: Es ging mir nicht darum Streits aufzuzeigen oder jemanden zu diskreditieren. Diese Szene ist drin, weil Gunther Buskies, ihr damaliger Produzent, dort ganz klar sagt: „Mit dieser Kinderkacke kann ich meine Mitarbeiter nicht bezahlen.“ Anton antwortet darauf: „Ich denke, ich bin bei einem Label, das uns fördert, in dem was wir tun und nicht in dem was wir verkaufen.“ Es geht nicht um den Streit, es ist einfach so. Auch Gunther Buskies hat seine ökonomischen Zwänge und muss sehen, wie er als Labelchef überlebt. Er würde wahrscheinlich auch anders handeln, wenn er die Möglichkeiten dazu hätte. Ich kann das nachvollziehen. Die Finanzierung eines Films läuft ganz ähnlich. Man hat sehr hohe Eigenanteile zu liefern, muss Prozentzahlen erfüllen und hat reichlich Ausgaben. Vor allem als unabhängiger Filmemacher ohne Sender ist es schwer. Fernsehsender trauen sich heute nichts mehr. Sie gehen nur auf den ausgetretenen Faden, weil sie keinen Mut haben, etwas auszuprobieren. Seine eigenen Ideen hier unterzubringen ist fast unmöglich, ohne dass einem nicht ständig reingeredet wird.

In der Musik- wie in der Filmindustrie geht es letztlich oft um ein eingefahrenes Format, das bedient werden muss?
Trostel: Ja. Was gut ist, das läuft im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen beispielsweise nachts um eins. Die GEZ sammelt sehr viel Geld ein und bedient diese riesigen Betriebe, die nur noch sich selbst füttern. Aber das Wesentliche, den Dingen Raum zu geben, etwas auszuprobieren, das verschwindet langsam. Im Nachhinein ist es wahrscheinlich sehr gut, dass ich keinen der Sender für meinen Film gewinnen konnte. Es führt aber dazu, dass ich an diesem Film keinen Pfennig verdienen werde, nach drei Jahren harter Arbeit. 

Martin Daßinnies

1 2