Retrospektive: „Chaplin Complete“ im Babylon Mitte


Filmszene: "City Lights"

Filmszene: "City Lights"

Neben dem Jubel waren bereits die dunklen Zeichen des Nationalsozialismus deutlich sichtbar. Polizisten gingen teilweise „unnötig rigoros“ gegen die Schaulustigen vor, die sie für politische Demonstranten hielten, so schrieb ein Reporter der damaligen BZ. Diese Tatsache soll mitbestimmend für die verfrühte Abreise Chaplins aus Berlin gewesen sein. 80 Jahre liegt das nun schon zurück. Grund genug für das Kino Babylon seine zweite Ausgabe des Stummfilmfestivals ganz dem großen Pantomimen zu widmen. Und so eröffnet das Festival entsprechend dem historischen Jubiläum mit „City Lights“ am Freitagabend um 19.30 Uhr im Kino Babylon, in Anwesenheit seiner Tochter Geraldine Chaplin, die im Interview mit uns über ihren berühmten Vater sprach. Das 1929 als Stummfilmkino gebaute Haus machte es sich 2010 zum Ziel, ein eigenes Festival zu gründen, das an die Tradition und Geschichte des Hauses anknüpft. So erlebt der Stummfilm mit seiner besonderen Aufführungspraxis, begleitet von Live-Musik, nun auch eine Renaissance in der Hauptstadt.

Sir Charles Chaplin sah sich gern in der Rolle des Humanisten, als Aufklärer der Menschen, der wie in „The Great Dictator“ den Menschen ins Gewissen redete oder wie in „Goldrush“ („Goldrausch„, 1925) und „Modern Times“ der Gesellschaft den Spiegel vorhielt. Seine tragikkomische Figur the Tramp war ein Underdog, ein tagelöhnender Vagabund mit ritterlichen Manieren, der sich an den grotesken Widrigkeiten des Alltags die Zähne ausbiss und oft an der Tücke des Objekts scheiterte. Heilsam war seine Komik und erinnerte an den doppelgesichtigen Harlekin des italienischen Maskentheaters, der mit seiner Ambivalenz zwischen Cleverness und zur Schau gestellter Dummheit, zwischen Geschick und Ungeschick wusste, sich aus jeder noch so widrigen Situation zu befreien. Chaplin war der Held der kleinen Leute, der mit seinem grenzenlosen Empathievermögen die Zuschauer Mitgefühl lehrte.

Hannah Harriet Chaplin

Hannah Harriet Chaplin

Aufgewachsen in den Slums Londons, als Sohn zweier Music-Hall-Künstler, begann Charles Spencer Chaplin Jr. bereits mit fünf Jahren seine Karriere auf der Bühne der Music Hall, um anstelle seiner psychisch erkrankten Mutter, der Künstlerin Hannah Harriet Chaplin, ein Lied zu singen. Da die Unterhaltszahlungen des alkoholabhängigen Vaters meist ausblieben und die Mutter es nicht schaffte, ihre beiden Söhne allein durchzubringen, suchte die kleine Familie oft ein Obdach in Londons Armenhäusern. Als Neunjähriger fand er schließlich selbst eine Anstellung in einer Truppe, ging auf Tour und bekam als Gegenleistung eine Unterkunft sowie eine simple Schulbildung und Mahlzeiten. Nur wenige Jahre und einige Engagements später entwickelte sich Chaplin unter dem Impresario und Music-Hall-Besitzer Fred Karno, bei dem übrigens auch Stan Laurel unter Vertrag stand, zum talentierten und beliebten Hauptdarsteller und entdeckte auf Theatertourneen durch Nordamerika die amerikanische Filmindustrie.

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