Festivalbericht KinoKabaret 2011
Grüppchenbildung
Etwa fünfzig Meter vom Kino Moviemento entfernt, liegt der Imbiss Nil. Gastronomische Einrichtungen dieser Art sind in Kreuzkölln alle paar Meter vorfindbar und in aller Regel verwaist. Allerdings quoll dieser Laden in der vergangenen Woche aus allen Nähten. Menschen mit bunten Schlüsselanhängern, die die Teilnahme am Filmfestival KinoKabaret belegten, fanden sich dort in rauen Mengen ein und verstärkten die Situationskomik, als im Laden eine Kellertür aufsprang und eine Frau mit strenggebundenen Zopf gebückt, und mit wenigstens dreißig Kilogramm Geschirr beladen, die Treppe hinaufstolperte und das Frischgewaschene direkt vor die Theke hievte. Nach einem Halloumi ging es ins unnötig gut geheizte Moviemento. Mehr und mehr Menschen fanden sich im Foyer ein. Es wurde über Gaspar Noés neuesten Film gefachsimpelt und Limonade getrunken. Zehn Minuten vor dem offiziellen Einlass platzte das Foyer beinahe aus allen Nähten und eine Geräuschcollage immergleicher Begrüßungssätze durchflutete den Raum. Das Gefühl wollte nicht weichen, man befinde sich im Eingangsbereich einer Bettenburg einer Mittelmeerinsel.
„We connect you“ lautete das Motto des diesjährigen KinoKabaret. Wir, das waren die Veranstalter von Kino Berlino. You, das waren junge Regisseure, Nachwuchsschauspieler und Kameramänner. Es galt, einen Film in zwei bis drei Tagen zu entwickeln. Und das sich alle Beteiligten an diese Vorgabe hielten, zeigte schon der erste Abend im Kinosaal des Moviemento. Bereits während der ersten beiden Tage waren genügend Filme entstanden, um damit einen Abend zu füllen. Die Gäste wurden in den Kinosaal geführt. Der Saustoff verschwand. Es wurde kuschelig und der erste Streifen rollte ab. Zwei Stunden später war klar, die Qualität der Filme steht bedauerlicherweise im diametralen Verhältnis zur großen Begeisterungsfähigkeit des Publikums. Die überwiegende Mehrheit im Publikum war selbst Teilnehmer des Festvials und so ist es verständlich, dass die Freude, sich das erste Mal selbst (oder sein Werk) auf der Leinwand zu sehen, die kritische Distanz überwog. Ein Beispiel: Ein zweiminütiger Film der zwei alternative Tagesabläufe einer jungen Frau wiedergibt. Einmal findet sie einen Fünfzig-Euro-Schein. Einmal nicht. Daraus könnte schier alles werden, es folgte aber nur ein berechenbares Muster. So kauft sie sich in einer Variante ein paar Schuhe und lernt einen gutaussehenden Mann kennen – in der anderen Variante eben nicht. Punkt.
Einen Tag darauf erfolgte gut versteckt in der Nähe des Ostkreuzes ein Produktionsmeeting. Die anwesenden Filmteams hatten augenfällig wenig geschlafen, breiteten aber angeregt ihr Filmwissen aus. Marmeladenbrötchen, Obst und viel Kaffee senkten die Gesprächsbereitschaft, aber hoben das Energielevel an, so dass gegen 10.30 Uhr mit dem Produktionsmeeting begonnen wurde. Versammelt im Halbkreis, saßen nun alle Filmschaffenden vor einer Tafel. Wer wollte, durfte nun nach vorne kommen und von seinem Projekt erzählen. So unter anderem Carl, ein netter Altgruftie, dem die Qualität der Filme im Grunde egal war. Es ging ihm mehr „um das Ausloten“ seiner Fähigkeiten als Kameramann. Das Gegenstück zu Carl war Paul, neunzehn Jahre jung und stark begeisterungsfähig für jedes Wortspiel mit einer gewissen erotischen Doppeldeutigkeit. Pauls Arbeiten waren im Schnitt die kürzesten, hatten dafür jedoch den größten materiellen Verschleiß. Überhaupt lag das Augenmerk auf dem technischen Equipment, das die Regisseure letztlich benötigten, um später Teams bilden zu können. Die Dauer des jedes Filmes sollte nicht mehr als fünf Minuten betragen, schließlich war der Zeitraum, um einen Film fertig zu stellen, per se äußerst knapp.