Festivalbericht zum 4. Unknown Pleasures

Festialbericht 2012: Das Sprücheklopfen ist wohl passé


Filmszene: "Putty Hill"

Filmszene: "Putty Hill"

Nur war „Gummo“ ein Alptraum: bösartig, bestialisch und ekel erregend. „Putty Hill“ dagegen ist ein zelluloid gewordener Tiny Tim: reinherzig, gebrechlich und fast schon mitleidserhaschend. Genau da liegt das Problem des Filmes.  Dreht man sich nämlich um und betrachtet das Publikum, so ist deren sozialer Hintergrund auffallend bürgerlich und wenn nicht das, dann studentisch oder was halt eben so unter „alternativ“ subsumiert wird. Das Stereotyp möchte es auch, dass die Medien oder die Kultur im Broterwerb eine zentrale Rolle spielen werden. Nach Ende des Filmes folgte noch ein kurzes Publikumsgespräch mit Matthew Porterfield. Der wollte ursprünglich eine Dokumentation über die Metal-Szene Baltimores drehen, kam dann aber auf die Idee, seinen ehemaligen Kiez North-East-Baltimore kinematografisch aufzuarbeiten. Es spricht für ihn, dass er seinen Figuren mit Würde begegnet und sie nicht nur aufgrund ihrer sozialen Determination demütigen möchte, doch „Putty Hill“ ist nur ein wenig mehr als ein Heimatfilm. Er strahlt diesen Wunsch „Bitte gebt uns Kitsch“ aus. Selbst als die Totenfeier Coreys mit einem Song von Mariah Carey seine Eröffnung findet, mögen weder Kameraführung noch Schnitt diese Groteske ästhetisch werten. Hier wird eine romantische Sehnsucht heraufbeschworen von einfachen, schicksalsgebeutelten Menschen, die gelegentlich durch etwas (an)rührendes wie ein Kinderlachen in einer Unterbrechung mündet.

Slumming war wohl selten so risikolos.Zum Wechselspiel Zuschauer – Medium gesellen sich unterschiedliche Thesen über die Auswirkung der Medien auf den Zuschauer. So hätten wir die Katharsisthese eines Aristoteles, die besagt, dass das Betrachten von Gewaltdarstellungen eine Ventilfunktion erfüllt. Dem beigestellt ist die Inhibitionsthese, nach der Gewaltdarstellung mahnend und abschreckend wirken, weil der Zuschauer eher Empathie mit dem Opfer als mit dem Täter zeigt. Entgegengesetzt dazu gibt es die Stimulationsthese. So soll hier das Darstellen von Gewalt enthemmend und anregend wirken. All das wäre zu beweisen und so kann man für die Katharsisthese „Silver Bullets„, für die Inhibitionsthese „Putty Hill“ und für die Stimulationsthese Dustin Guy DefasBad Fever“ heranziehen.

Dieser Film lässt sich fast schon dazu nötigen, seine eigene Geschichte zu erzählen. Es gibt weder eine Hintergrundgeschichte, noch eine Einführung in ein soziales Milieu. Er erzählt nicht von Einsamkeit, er macht wirklich einsam. So läuft der Protagonist Eddie (Kentucker Audley) nicht einmal ziellos durch die Straßen. Er bemüht sich erst gar nicht um eine Suche. Schüchtern und beinahe unheimlich wunschlos spricht er seine mitleidserregenden Stand-Up-Nummern auf einen Rekorder, um anschließend mit seiner Mutter alte Western zu schauen. Auf der einen Seite macht dieser Film betroffen, auf der anderen Seite auch grundwütend. Wir leben in ironischen Zeiten. Eigentlich soll man gar nichts mehr ernst nehmen. Die Redewendung „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ findet so eine perfide Umkehrung. Ironie scheint nur noch als eine Art seelischer Kevlar zu dienen, der nichts durchlässt, alles abschmettert und bagatellisiert. Vor allem das im ironischen Tonfall Vorgetragene ist halt eben nur Dank des Tonfalls als ironisch zu erkennen. Zugegebenermaßen überzeichnete Figuren wie Eddie stehen für die Sehnsucht, ebenfalls schlagfertig, eloquent und ironisch zu sein. Da diese Sehnsucht ungestillt bleibt, vereinsamt Eddie unaufhaltsam und ist nicht in der Lage, an seiner Umwelt zu partizipieren. Ironie macht unangreifbar und so greift er stets ins Leere.

Mit das faszinierendste am Medium Film war stets, dass, wenn der eigene Körper ruhend gen Leinwand gerichtet ist, die abgebildeten Körper allerlei erleben müssen. Und während der Zuschauer den Luxus des Staunens auf Grund von Bewegungsarmut nachgeht, gelingt es den dargestellten Figuren im schlimmsten Fall noch nicht einmal, 90 Minuten zu überleben. In der Montage entfällt eben das normale Raum-Zeit-Verhältnis. Besonders gute Montagen waren in der Lage, gleich einer Komposition den narrativen Mehrwert eines Drehbuchs hervorzuheben, so dass der Zuschauer bei den ersten Bildern und Sequenzen zwar nicht unbedingt wusste, was ihn erwartet aber welche Qualität das zu Sehende haben wird. Während die Montage in Hollywood-Filmen dank des „continuity editing system“ standardisiert ist, so betrachtet man sie in den neueren amerikanischen Indiependent-Filmen als notwendiges Übel. Es wirkt unbeholfen und der Zuschauer wird mit dem Image aufgezogen, langverschollenen Heimproduktionen auf großer Leinwand beizuwohnen.  Die Sehnsucht nach Intimität, nach etwas Persönlichem wird dadurch bedient. Gleichzeitig behandeln die Filme des diesjährigen Unknown Pleasures Einsamkeit in all ihren Facetten. Die Leichtigkeit scheint verloren. Das Sprücheklopfen ist wohl passé.

Joris J.

Susan Ray, Witwe des US-amerikanischer Filmregisseurs Nicolas Ray, stellte im Rahmen des Unknown Pleasures Filmfestivals 2012, den unvollendeten Film “We Can´t Go Home Again” von Nicolas Ray vor.

1 2