Christian Petzold über seinen Film „Barbara“ und die DDR im Film
"Das ist ein Technicolor-Traum"
Christian Petzold gehört spätestens seit „Die innere Sicherheit“ zu Deutschlands angesehensten Regisseuren, auch wenn seine Filme meist jenseits des großen Publikums laufen. Seine Alltagsdramen sind Zustandsprognosen der Jetztzeit. In „Yella“ bricht eine junge Frau aus einer ostdeutschen Kleinstadt auf, um im Westen ihr Glück zu suchen. „Jerichow“ erzählt eine tödliche Dreiecksgeschichte in der deutschen Provinz. In seinem neuen Film „Barbara„, der im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale lief, reist Petzold erstmals zurück in der Zeit, in die DDR im Sommer 1980. Nina Hoss spielt darin eine verschlossene Ärztin, die nach einem abgelehnten Ausreiseantrag in ein Provinzkrankenhaus strafversetzt wurde. Von dort aus plant sie die Flucht zu ihrem Geliebten in den Westen. Als sie ihren Kollegen André näher kennenlernt, beginnt sie, an ihrem Entschluss zu zweifeln.
Herr Petzold, Sie sind jetzt schon zum dritten Mal mit einem Film im Wettbewerb der Berlinale. Wie fühlt sich das an?
Es ist schön, wieder einen Film hier zu haben. Das tut dem Film gut und das tut mir nicht so richtig gut, weil ich gerne selber Filme schaue und nicht über meine eigenen rede. Aber das muss ich nun mal machen, deswegen kein Jammern. Ich gucke mir gar nicht an, was hier läuft. Ich will nicht wissen, was ich verpasse. Ich habe den Eröffnungsfilm gesehen und den fand ich schon sehr schön. Es wäre so schön, jetzt eine Woche lang nur Filme auf der Berlinale zu schauen.
Sie führen uns mit ihrem Film „Barbara“ ins Jahr 1980 zurück, genauer gesagt in die DDR. Eine junge Ärztin wird wegen eines Ausreiseantrag von Berlin in die Provinz versetzt. Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?
Als ich Germanistik studiert habe, habe ich eine Erzählung von Hermann Broch gelesen, „Mark Sellin“, eine unfassbar schöne Liebesgeschichte. Dann habe ich mir mehr von Broch besorgt und gemerkt, dass er Novellen in seine Romane integriert und eine dieser Novellen hieß „Barbara“. Darin geht es um eine kommunistische Ärztin Ende der Zwanziger Jahre in Deutschland, die einen Arzt kennenlernt, den sie aber nicht lieben kann, weil sie im Untergrund ist. Bei den Dreharbeiten zu „Toter Mann„, wo ich auch Nina Hoss kennengelernt habe, bin ich an einem drehfreien Tag durch Stuttgart gegangen. An solchen Tagen kaufe ich mir manchmal Bücher, die ich schon besitze und lese sie nochmal. Und da gab es eine schöne Ausgabe der Novelle „Barbara“ von Broch. Kurz zuvor hatten wir im Osten, in Wittenberge, gedreht und da kamen mir Erinnerungen an den Osten, wo auch meine Eltern herstammen, an meine Jugend und die zerfallene DDR, die da noch so ungeschmückt ohne Wintergärten und Carports war. Jedenfalls habe ich die Novelle nochmal gelesen und plötzlich gingen meine DDR-Erinnerungen und die „Barbara“-Geschichte eine Verbindung ein. Ein Arzt aus Fürstenwalde erzählte mir kurze Zeit später, dass Kollegen von ihm Ende der Siebziger Jahre Ausreiseanträge gestellt haben. Da es einen Ärztemangel in der DDR gab, wurden diese nicht in den Knast gesteckt und zum Verkauf durch Rechtsanwalt Vogel freigegeben, sondern die wurden als Militärärzte oder Provinzärzte in eine Art Exil geschickt. Innerhalb von zwei oder drei Wochen habe ich dann das Treatment geschrieben.
Statt die DDR plakativ in Ihrem Film in Szene zu setzen, rücken sie den inneren Kampf Barbaras in den Vordergrund. Worum ging es Ihnen in erster Linie bei „Barbara„?
Um ein Selbstverständnis und ein Selbstbewusstsein der Erzählung. Ich finde es furchtbar, wenn man Honecker-Bilder oder Hammer und Sichel dauernd im Bild hat. Wenn man die DDR immer nur ausstellt, dann kann nichts mehr passieren. Da ist das kein Leben mehr. In dem Moment, wo ein Film beginnt und eine Figur im Bild ist, hat die vorher schon gelebt. Die ist nicht durch den Film zum Leben erweckt worden, sondern die kommt irgendwo her und wird auch später irgendwo hingehen. Wir nehmen einen verdichteten Teil ihres Lebens wahr. Diese Figur interessiert sich nicht mehr für Honecker-Bilder an der Wand. Wenn ich sie so kadriere, dass diese Scheiße noch mit ins Bild kommt, dann verrate ich sie. Wenn jemand über den Spätkapitalismus einen Film machen und lauter so Symbole wie insolvente Schlecker-Märkte oder was weiß ich zeigen würde, dann würden wir doch denken: „Man, Junge! Haben wir was mit insolventen Schlecker-Märkten zu tun?“ Klar sind die da und wir erleben die auch, aber wir stehen nicht vor ihnen herum. Also das, was gerade passiert, im System, die Angst oder die Freude muss in den zwischenmenschlichen Bereich, in den Gesprächen, in den Lieben, in den alltäglichen Verrichtungen sein und nicht beim Filmemacher. Und diesen Raum zwischen den Menschen, den heißt es zu erkunden.