10. Türkische Filmwoche

Vergangenheit und Moderne


"Zenne" ist inspiriert von der Lebensgeschichte des Homosexuellen Ahmet Yıldız

"Zenne" ist inspiriert von der Lebensgeschichte des Homosexuellen Ahmet Yıldız

Es lohnt sich, das türkische Kino zu verfolgen. Denn immer wieder überraschen türkische Filmemacher mit einer kompromisslosen Offenheit, die man dem Land zwischen westlich geprägter Moderne, religiösem Fundamentalismus und Tradition auf den ersten Blick nicht zutrauen möchte. Die Türkei ist ein Filmland, dessen Geschichte bis ins Jahr 1914 zurückreicht, das reich ist an Tradition und ein großes Interesse am gesellschaftlichen Diskurs besitzt, der neben dem Mainstream selten Halt macht vor sensiblen Themen wie innerfamiliärer Gewalt, Geschlechterrollen und Homophobie, dem Kurdenkonflikt oder der politischen Auseinandersetzung um Zypern. Gerade das türkische Arthousekino konnte in den letzten Jahren zahlreiche internationale Erfolge feiern, wie etwa Nuri Bilge Çeylans meditativer Film „Once Upon A Time in Anatolia“ (Cannes 2011), Reis Çeliks „Night of Silence“ und Emin Alpers „Beyond the Hill„, die beide auf der diesjährigen Berlinale zu sehen waren.

Der wohl umstrittenste Film des türkischen Kinojahres „Zenne“ („Der Bauchtänzer„), in dessen Mittelpunkt ein ungewöhnliches Trio steht, handelt von Diskriminierung, Gewalt und Homophobie in der Türkei. Daniel, ein deutscher Fotojournalist, lebt in Istanbul. Die Werte in der Turkei sind ihm fremd. Can ist ein extrovertierter Bauchtänzer, Ahmet wurde in eine konservative Familie hineingeboren. Sein Streben nach Offenheit und Freiheit bezahlt er mit dem gewaltsamen Tod. Inspiriert wurde M. Caner Alpers Film durch die tragische Geschichte von Ahmet Yıldız, der 2008 von seiner Familie regelrecht hingerichtet wurde. Der Fall führte zu dem ersten Prozess in der Türkei wegen eines sogenannten Ehrenmordes an einem Homosexuellen.

http://www.youtube.com/watch?v=pUuUg5GiFc8

Den Mut zum offenen Konflikt scheuen auch viele weitere Festivalfilme, die Türkische Filmwoche findet in diesem Jahr vom 19. bis 29. April statt, des diesjährigen Istanbul-Schwerpunkts, der Mythos und Realität der Bosporus-Metropole zeigt, nicht. Istanbul ist ein viriler Schmelztiegel, eine Megacity, die geprägt ist von Wirtschaftswachstum und Zuwanderung, vom Nebeneinander der Moderne und Vergangenheit. Hasan Tolga Pulat zeigt das mit „Güzel Günler Görecedýz“ („Wir werden schöne Tage erleben„) sehr eindrücklich. Ein Tag in Istanbul, an dem sich das Schicksal verschiedener Personen entscheidet: Cumali wird nach zwölf Jahren als gebrochener Mann, der seine Tat zutiefst bereut, aus dem Gefängnis entlassen und sucht seine Jugendliebe Mediha. Mediha möchte mit ihrem neuen Freund Ali außer Landes fliehen, um der Verfolgung ihrer Familie zu entkommen. Auch der frustrierte Kommissar Izzet möchte sein bisheriges Leben hinter sich lassen. Und dann ist da noch die schöne Prostituierte Anna, die wieder zurück in ihre Heimat will. Fünf Lebenswege, die sich miteinander verknüpfen und schließlich zur Rettung eines kleinen Jungen führen. Pulats berührendes Drama ist in seiner episodischen Erzählweise an „Babel“ und „L.A. Crash“ angelehnt und zeichnet ein aktuelles Porträt der Türkei.

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