achtung berlin 2012: Vorbericht mit Vorfreude

achtung berlin kann kommen


Szene aus "Anna Pavlova lebt in Berlin"; achtung berlin 2012.

Szene aus "Anna Pavlova lebt in Berlin"; achtung berlin 2012.

Dokumente mit Partyqueens und bekannten Sozialhilfeempfängern

In der Sektion Dokumentarfilme werden große Themen angegangen. Pary El-Qalqili thematisiert in „Schildkrötenwut“ den israelisch-palästinensischen Konflikt anhand einer Reise eines Mädchens mit ihrem Vater durch Ägypten, Israel, Palästina und Jordanien. In Matthias Bittners „Not In My Backyard“ geht es zwei verurteilte Sexualstraftäter in Miami. Die Dokumentation wirft die unbequeme Frage nach dem Umgang mit Kinderschändern auf. Für „Werden Sie Deutscher“ begleitete Regisseurin Britt Beyer mehrere Monate lang den Integrationskurs einer Berliner Volkshochschule, zeigt den Prozess, wie anhand von Unterrichtsmaterialien deutsche Sprache, Kultur und Verhaltensweisen vermittelt werden, und hinterfragt diesen. Doch es gibt auch die leisen Doku-Töne, die persönlichen Geschichten von skurrilen Gestalten. Allen voran die „Frau, die sich in die Berliner Partyszene verliert„, wie Hajo Schäfer sie beschreibt – Anna Pavlova. Theo Solnik begleitet die charismatische Partyqueen mit russischen Wurzeln bei ihrem wirren Wandeln durch die Hauptstadt. „Ich bin in mich selber verliebt“, bringt Anna Pavlova ihre Faszination für sich selbst zum Ausdruck. „Weil ich so eine schöne und geniale Frau bin.“ Klar, das ist eine Doku wert, dachte sich Solnik, und weicht ihr, die nicht aufwachen möchte, nicht von der Seite. Mit „Anna Pavlova lebt in Berlin“ zeichnet er das Bild einer Frau, die mit einer Stadt verwachsen ist, die in ihrem „arm, aber sexy“-Charme fasziniert und berauscht, aber auch verschlingen kann.

Ungemein charismatisch ist auch Österreichs bekanntester Sozialhilfeempfänger Hermes Phettberg, den Sobo Swobodnik in seiner Dokumentation „Der Papst ist kein Jeansboy“ portraitiert. Der eigenwillige Schauspieler, Schriftsteller und Moderator Phettberg, der unter anderem in den 80ern den Verein „Sadomasochismusinitiative Wien“ mit gründete, gilt als Pionier des Internetfernsehens, als Gesamtkunstwerk und bewahrt seine persönlichen Dinge vorwiegend in Plastiksäcken auf. Nach mehreren Schlaganfällen hoch verschuldet ist der „Scheiterhaufen“ und „Elender“, wie er sich selbst bezeichnet, heute ein Sozialfall. Die Doku zeigt den Menschen Phettberg, der sein Leben selbst täglich im Internet und wöchentlich in der Kolumne einer Wiener Zeitung dokumentiert, und sein langsames Sterben. Wunderbar unterhaltsam, weil so schön nah, echt und social media-kritisch, verspricht das Mockumentary-Projekt „Die Essenz des Guten“ zu sein. „Hannes Pimmelmann ist jetzt befreundet mit…wer sind die???“ regt sich Architektin Lena auf, die beruflich in Paris weilt, und ihrem Ex-Freund via Facebook und Co. nachspioniert. „Kann ja jeder schreiben: Komm grad von der tollsten Überparty mit Häppchen, bla,“ versucht sie sich selbst zu beruhigen. Und spürt doch ganz schön Druck durch das Geplapper im sozialen Netzwerk, das so „sozial“ dann vielleicht doch nicht ist.

Mit Liebe gemacht„, so das Motto des Festivaltrailers, ist achtung berlin auch dieses Jahr wieder. Dem Publikum wird die Auswahl der Filme wohl genauso schwer fallen, wie den Juroren die Vergabe der insgesamt sechs „new berlin film awards“ sowie der drei Sonderpreise. Wir sind jedenfalls bereit, scharren mit den Hufen und können es kaum erwarten, die Hauptstadt mal wieder maßlos zu feiern.

Verena Manhart

achtung berlin, 18. bis 25. April in den drei Festivalkinos Babylon:Mitte, Filmtheater am Friedrichshain und Passage Neukölln, eröffnet wird das Festival am 18. April im Kino International, www.achtungberlin.de

1 2