Northzone: In gleich fünf Locations Zuhause

Der Spagat


Szene aus We Call It Skweee - Northzone 2012

Szene aus We Call It Skweee - Northzone 2012

Der Literaturwissenschaftler Leslie Fiedler verdichtete vor über 40 Jahren in einem Essay seine Forderung an die Kultur mit dem Slogan „Cross the border, close the gap“. Programmatisch sowohl in Fachmagazinen als auch im Playboy veröffentlicht, plädierte er vornehmlich aus einer literaturwissenschaftlichen Perspektive für eine Aufhebung der nach wie vor vorhandenen Kluft zwischen sogenannter „hoher“ Kultur und „Popkultur“. Heute, 40 Jahre später verwischt dank youtube und anderer Plattformen die Grenze zwischen Musik, Film und Lesung. So ist es selbstverständlich, dass die hiesigen Festivals mitziehen. Das Northzone Festival (4. bis 8. April) trieb es allerdings manchmal etwas bunt, obwohl die Mischung aus skandinavischer Popmusik und Filmen gelungen war, verlangte der Ortswechsel (insgesamt fünf Locations) dem Interessierten zu viel ab.

Raumvorstellungen sind keine werturteilsfreien Konstrukte, sondern verfügen über eine normative Suggestion und beeinflussen das Wohlgefühl des Einzelnen. Hinzu gesellten sich noch horrend hohe Eintrittspreise und die ein oder andere technische Panne. Die Musikdokumentation „We call it Skweee“ von Iacopo Patierno und David Giese, den Northzone als Gast begrüßen durfte, stimmte gut auf die elektronische Musik Nordeuropas ein. Deren Protagonisten haben große Ähnlichkeit mit den hiesigen (Neu-)Neuköllnern. Alles ist etwas bunter, quietschiger und infantiler als eigentlich notwendig und genau darin liegt der Reiz. Skweee, auch „Scandinavian Conflict R´n´B“ genannt, ist als Genre und Bewegung um die Labels „Flogsta Danshall“ und „Harmonia“ entstanden. Das Equipment ist in etwa so alt wie die Musiker selbst und die Vintage-Affinität des Durchschnitts-Skweeers dürfte dem Durchschnitts-Witch Houser in nichts nachstehen. Vintage lockt mit dem Versprechen aus einer anderen (besseren) Zeit zu stammen. Ähnlich wie in der bildenden Kunst und in der Literatur, gibt es wenig Neues.

Die Krise der Kreativität äußert sich darin, dass scheinbar Neues nur entsteht, wenn Altes neu miteinander kombiniert wird. Dem Soziologen Georg Simmel zufolge gibt es in der Mode eine Spannung zwischen Nachahmung und Absonderung. Im Skweee hebt diese Spannung auf, indem Vergangenes nachgeahmt wird, um sich vom Aktuellen abzusondern. So verwundert es nicht, dass die Dokumentation in ihrer Machart höchst konventionell ist. Durch „We call it Skweee“ gewinnt man einen guten Überblick. Sie ist einsteigergerecht aufbereitet, macht aber wenig Lust auf mehr. Einen Tag später im „Club Gretchen“ gaben Caroline Hjelt und Aino Jawo mit ihrem Nicht-Skweee-Projekt Icona Pop nicht unbedingt alles, aber genug um ihr Publikum gut zu unterhalten.

Alle Bilder mit (c) von Philipp Jester. Mehr von ihm unter: philippjester.com

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